Kleinod im stummen Wartestand

Die protestantische Kirchengemeinde Klingen sieht der Renovierung ihrer spätbarocken Orgel entgegen

Blick in die „Eingeweide“ des Instruments: Pfeifen der Barockorgel in der Klingener Kirche kurz vor ihrem Abbau. Foto: pv

Martin Vier, Orgelbaumeister aus Friesenheim-Oberweier, hat reagiert. Mit einem Machtwort aus berufenem Munde: So, in diesem Zustand, werde er die Orgel nicht wieder aufbauen. Basta. 2018, im Zuge der Restaurierung der Kirche im südpfälzischen Klingen, hatte Martin Vier das spätbarocke Instrument – ein Manual, acht Register plus Pedal – Teil für Teil abgebaut und alles sorgsam in seiner Werkstatt verstaut. Da ruht es jetzt im Wartestand.

Was beim Zerlegen zutage trat, ist die eine Seite der Medaille. „Verrostete Stockschrauben, verschimmelter Windkasten-Innenbereich, deformierte Pfeifenmündungen, Furniere und Farbanstriche abblätternd, Prospektpfeifen stark verbeult, Holzwurmbefall, Zinnpest und starke Verschmutzung listet das umfangreiche Gutachten von Gero Kaleschke, dem Orgelbeauftragten der pfälzischen Landeskirche, auf – unter anderem. Technische Mängel zeigen sich ebenfalls in unfachmännisch ausgeführten Einlötungen, klemmenden Verschlussdeckeln, roh ausgeführten Bohrungen und Anspracheproblemen einzelner Register.

Das alles beträfe schon einen Plan zur unmittelbaren Schadensbegrenzung. Weit spektakulärer jedoch schiebt sich die Kehrseite der Medaille in den Fokus. „Die einzig angemessene und wünschenswerte Kur für die Orgel“, so bringt es Kaleschke auf den Punkt, „ist eine denkmalgerechte Restaurierung mit Rekonstruktion“. Denn: Das Instrument ist kostbar und in großen Teilen erhalten, wenn auch sein Klangbild durch die Eingriffe der Nachkriegszeit – etwas salopp formuliert – planlos „versaut“ wurde.

Erstmals schriftlich erwähnt wurde die Klingener Orgel 1816, als der Orgelbauer Heinrich Bürger eine Stimmung in Rechnung stellte. Nachweislich wurde das Instrument bis Mitte des 20. Jahrhunderts stets in pfleglichem Zustand gehalten und ohne gravierende Eingriffe, mit lediglich kleinen technischen Renovierungen, wohlbehalten über die Zeiten gebracht. Unter anderen Walcker und Poppe hatten sich mit hochprofessioneller Arbeit verdient gemacht, auch den Zweiten Weltkrieg hatte das Instrument unbeschadet überstanden. 1954 wurde durch die Firma Zimnol, Kaiserslautern, eine elektrische Gebläsemaschine installiert, zudem Instandsetzungsarbeiten ausgeführt. In sorgfältigster Ausführung – so bestätigte die Abnahme.

Die eigentlich tragische Stunde schlug der Klingener Orgel Mitte der 1960er Jahre, als auf Veranlassung des damaligen Landeskirchenmusikdirektors Adolf Graf eine neuerliche Restaurierung ins Haus stand, diesmal ausgeführt durch die Orgelbaufirma Oberlinger, Windesheim. Was allerdings, wie Kaleschkes Gutachten es heute wertet, dazu führte, dass die Orgel „gravierend verändert und entstellt wurde“. Ohne Not seien Originalteile entfernt und, dem stilistischen Geschmack der Zeit gehorchend, in unpassender Weise ersetzt worden. Was Kaleschke auch moniert, sind die teils schlampige Ausführung und die Verwendung von unsachgemäßen und wenig nachhaltigen Materialien. „Holzgerüste durch Stahlträger zu ersetzen,“, sagt er, „hat Auswirkungen auf den Klang. Das sollte ein Orgelbauer wissen.“ Auch die Verwendung von Kunststoffen und Kunstklebern hat sich als wenig langlebig erwiesen.

Die Kirchengemeinde Klingen behilft sich im Gottesdienst derweil mit dem E-Piano, das der sehr engagierte Organist Bastian Schäfer spielt. Pfarrerin Dorothea Helfrich, die die ans Pfarramt Göcklingen gekoppelte Pfarrstelle betreut, ist glücklich über den jungen Nebenamts-Kirchenmusiker.

Dass die elektronische Variante möglichst bald der Vergangenheit angehören soll, steht für sie außer Frage. „Natürlich soll unsere Orgel so rasch wie möglich wieder ihren Platz auf der Empore einnehmen.“ Der von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz großzügig bezuschusste Kirchenraum und das wertvolle Instrument – sie sollen sich schlussendlich zum Gesamtkunstwerk einen.

Das sieht auch die Landeskirche mit ihren Entscheidungsträgern, Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald und dem zuständigen Dezernenten Manfred Sutter nicht anders. So ist sie bereit, das nach jetzigem Stand knapp unterhalb von 100000 Euro angesiedelte Kostenvolumen ein Stück weit aufzufangen. Auch in der mit 190 Gemeindemitgliedern sehr überschaubaren Kirchengemeinde herrscht Konsens über die Renovierung. „Wir wollen das alle zusammen“, sagt Helfrich. „Und ich bin sehr zuversichtlich.“ Gleichwohl, einen Freundes- oder Förderkreis würde sie sehr begrüßen, schon um die Maßnahme in der Öffentlichkeit breiter zu verankern.

Dass eine so kleine Gemeinde ein solches Projekt überhaupt stemmen möchte, verdient Respekt. Lohnen wird der Aufwand allemal, denn die Klingener Orgel zählt zu den historisch wertvollsten der Pfalz. „Und ein Zustand, der dem originalen Erscheinungsbild sehr nahekommt, ist herstellbar“, sagt Kaleschke. Gertie Pohlit

Erhellende Indizien im Inneren der Orgel

In einschlägigen Veröffentlichungen zur Pfälzer Orgellandschaft – zum Beispiel der Autoren Bernhard Bonkhoff und Wilhelm Krumbach – wird das Entstehungsjahr der Orgel in der noch aus gotischer Zeit stammenden Dorfkirche Klingen mit 1695 angegeben. Noch bis in die jüngste Vergangenheit haftete ihr somit das Etikett „älteste Orgel im Bereich der pfälzischen Landeskirche“ an. Die aber steht nach aktuellem Forschungsstand in Albsheim an der Eis.

Für Klingen indes fehlen detaillierte Angaben zur Genese. Somit erlaubte der vollständige Abbau im Zuge der Kirchenrenovierung erstmals Einblicke tief in die „Eingeweide“ des Instruments. Und Gero Kaleschke, der sich in nahezu jeder Orgel seines Amtsbereichs ungefähr wie in seinem eigenen Wohnzimmer zu bewegen weiß, begab sich auf Spurensuche. Er wurde fündig, in mehrfacher Hinsicht.

Der Entstehungszeitraum ist heute auf die Jahre 1760 bis 1775 einzugrenzen. Stilistik und Ausführung weisen darauf hin. Mehr noch: Die bislang eher spekulativ gehandelten Erbauer sind außen vor. Vieles, vor allem die mit schwarzer Tusche am Pfeifenwerk gezeichneten Signaturen, deutet hin auf den kurpfälzischen Meister Johann Carl Baumann (1714 bis 1794) aus Annweiler, der auch die zum Vergleich dienliche Orgel in der Bergkirche Bad Bergzabern schuf.

Als vom Herzogtum Zweibrücken privilegierter Orgelbauer schuf er Werke, von denen rund ein Dutzend erhalten sind. Sie bestätigen Kaleschkes Recherche. Vergleicht man etwa die Baumann-Orgel im elsässischen Cleeburg, erbaut 1781, so findet sich eine nahezu identische Disposition. Mechanische Details, Pfeifenaufbau und die filigrane Ornamentik des Prospekts lassen gleichfalls Parallelschlüsse zu. gpo

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