Kirchturmdenken ad acta legen

Oberkirchenrätin Karin Kessel macht bei Fachtag Mut für Visionen zur Nutzung von Kirchengebäuden

Regt zum Nachdenken an: Die Ausstellung „Kirchengebäude und ihre Zukunft“ in der Unionskirche Kaiserslautern. Foto: view

Bestimmte Entwicklungen, die in anderen Landeskirchen schon länger zu beobachten sind, erreichen die pfälzische Landeskirche offensichtlich mit Verzögerung. Von Abriss, Umnutzung oder Verkauf von Kirchen blieben die Protestanten zwischen Speyer und St. Ingbert, zwischen Ebernburg und Wörth bisher verschont. Doch auch in der Pfalz wird über veränderte Nutzung von kirchlichen Gebäuden nachgedacht, wie der Fachtag „Kirchliche Räume bewahren, verändern oder aufgeben“ zeigt, der in Kaiserslautern Interessierte anzog.

Initiatoren waren die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Entwicklung von (Kirchen-)Gebäuden“, die 2014 einberufen wurde und Kirchengemeinden sowie Kooperationsregionen beim Thema Kirchennutzung beraten soll. Dass es in der Pfalz Handlungsbedarf gibt, machte Oberkirchenrätin Karin Kessel deutlich. In der Landeskirche mit ihren mehr als 400 Kirchengemeinden müssen rund 1400 kirchliche Gebäude unterhalten werden: davon mehr als 500 Kirchen, sowie jeweils mehr als 300 Pfarr- und Gemeindehäuser und mehr als 200 Kindertagesstätten.

Dieser stattliche Bestand stehe in Spannung zu der sinkenden Zahl der Kirchenmitglieder und der abnehmenden Finanzkraft, die bis 2030 erwartet wird. Die Oberkirchenrätin warb dafür, über die sich verändernden Funktionen von Kirchenräumen nachzudenken und Visionen für deren künftige Nutzung zu entwickeln. Von Kirchturm- und Besitzstandsdenken riet Kessel mit einem Hinweis auf die Kirchenunion vor 200 Jahren ab. Damals seien im Zuge des Zusammenschlusses von Reformierten und Lutheranern 41 kirchliche Gebäude in der Pfalz aufgegeben worden.

Wie eine künftige Nutzung aussehen kann, illustrierte die Wanderausstellung „Kirchengebäude und ihre Zukunft“, die über den Wettbewerb der Wüstenrot-Stiftung Auskunft gibt und in der Unionskirche zu sehen ist. Sie bietet einen Überblick, welche baulichen Veränderungen wie Umbau, Rückbau, Umgestaltung oder Erweiterung von Sakralbauten die Wettbewerbsjury überzeugten.

Wie sich Kirchengebäude wandeln, um veränderten Ansprüchen zu genügen, lässt sich überdies an den Modellen erkennen, die Architekturstudenten der TU Kaiserslautern im Sommer 2017 zur „Werkstatt Wittenberg“ entworfen hatten. Alternative Nutzungen sehen beispielhaft die Entwürfe für zwei Kirchen des Architekten Erwin Morlock in Lan­dau und Ludwigshafen vor.

Eine Tour d’Horizon zu alternativen Kirchennutzungen boten unter der Überschrift „Krise als Chance“ Dirk Boländer und Gido Hülsmann vom Büro „soan architekten“. Für rund 30 Sakralbauten und kirchliche Gebäude entwarf das Architekturbüro aus Bochum und Darmstadt Konzepte, um Kirchenräume über Nutzungsergänzung oder -änderung zukunftstauglich zu machen. Standardlösungen bestünden nicht, bilanzierte Boländer Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten. „Es braucht Zeit“, lautet die Erfahrung der Architekten. Gefragt seien offene Meinungsbildungsprozesse, an denen möglichst viele Akteure und potenzielle Partner beteiligt werden sollten. Denn nicht selten müssten bei Nutzungsänderungen von Kirchen und Gemeindehäusern Immobilien aufgegeben werden. Über Anbauten und Öffnungen werde aus manchen Sak­ral­bau­ten im jeweiligen kommunalen Umfeld eine einladende Kirche, unterstrichen Boländer und Hülsmann.

Neben der Ausstellung und den Vorträgen boten Workshops Gelegenheit, sich über Aspekte der Denkmalpflege, des Klimaschutzes, Fundraising, Kunst und Kirchenraum sowie Kolumbarien in Kirchen kundig zu machen.

Eine konkrete Orientierung bietet das Positionspapier der Begleitgruppe zur Zukunft von Kirchengebäuden. Die Aufgabe einer Kirche sei das letzte Mittel, aber kein generelles Tabu, wird darin argumentiert. Umnutzung oder Nutzungserweiterung hätten Vorrang vor Aufgabe oder Verkauf, erforderten allerdings einen Klärungsprozess, in den alle Beteiligten einbezogen werden müssten. Denn eine gute Lösung sei auf eine hohe Akzeptanz von Kirchengemeinde und nicht kirchlicher Öffentlichkeit angewiesen und müsse überdies die Finanzlast für die Gemeinde dauerhaft deutlich vermindern. Rainer Clos

Diskussionsprozess in den Gemeinden in Gang setzen

Die Dekanate Kusel und Zweibrücken wollen sich einen Überblick über ihren Kirchengebäudebestand und die aktuelle Nutzung verschaffen

Arztpraxen, Lebensmittelgeschäfte und Sparkassenfilialen schließen, Schulen werden zusammengelegt. In ländlichen Gebieten sind die Effekte des demografischen Wandels schon länger spürbar. Zurück bleiben die Dorfkirchen, denen häufig eine hohe symbolische Bedeutung für den Ort, aber auch eine wichtige Rolle für die Kirchenbindung zukommt. Doch angesichts der Finanzentwicklung und rückläufiger Mitgliederzahlen sind zunehmend auch Kirchen gezwungen, Überlegungen zur Umnutzung kirchlicher Gebäude anzustellen.

Dieser Prozess betrifft auch die Pfalz. Vor rund zehn Jahren übernahm etwa die griechisch-orthodoxe Gemeinde in Ludwigshafen die katholische Marienkirche, die zuvor geschlossen worden war. 2014 ging in Ludwigshafen-Gartenstadt die evangelische Johanneskirche, die von Schließung, Verkauf oder Abriss bedroht war, nachdem die Kirchengemeinde die vorgeschriebene Rücklage zur Instandhaltung nicht mehr aufbringen konnte, an einen Förderverein. Der eigens gegründete Verein verpflichtete sich vertraglich, den Betrieb und den Unterhalt der vor 60 Jahren eingeweihten Kirche zu übernehmen.

Insgesamt wurden seit dem Jahr 2000 im Bistum Speyer 22 Kirchen und Kapellen profaniert, wie Bistumssprecher Markus Herr mitteilt. Davon wurden drei abgerissen, 15 an säkulare Interessenten verkauft, zwei anders kirchlich genutzt sowie zwei weitere anderen Konfessionen überlassen.

Die badische Landeskirche ging vor einigen Jahren daran, den gesamten Gebäudebestand zwischen Weinheim und Lörrach auf den Prüfstand zu stellen. Mit dem 2014 einstimmig von der Landessynode beschlossenen Liegenschaftsprojekt sollen die rund 3000 kirchlichen Gebäude bewertet und Konzepte für die künftige Verteilung der Gemeindehäuser entwickelt werden, wie der landeskirchliche Organisationsberater Daniel Völker bei dem Fachtag in Kaiserslautern darlegte. Er verhehlte auch nicht, dass dieser Prozess von Konflikten begleitet ist. Diese träten spätestens dann auf, wenn die neun Kirchenbezirke in Baden den für 2020 angestrebten Gebäudemasterplan umsetzen und dabei die Flächen auf die Gemeinden nach dem künftigen Bedarf verteilen müssen. Ziel des Projekts, das Kirchen und Pfarrhäuser nicht betrifft, ist eine Einsparung bei den Baumitteln von 30 Prozent, indem Gemeindehausflächen, die einen anhand der Mitgliederzahl errechneten Höchstwert überschreiten, nicht mehr mit landeskirchlichen Geldern unterstützt werden.

Auch in der pfälzischen Landeskirche gibt es Pläne, ein ähnliches Projekt zu starten, das nach einer Bestandsaufnahme aller Gebäude eine Diskussion in den Kirchengemeinden und -bezirken über die Anpassung des Gebäudebestands an den künftigen Bedarf auslösen soll. Im Kirchenbezirk Zweibrücken soll dieses Projekt im September starten, in Kusel im Frühjahr 2019. rc

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