Im Läuten spiegelt sich kirchliches Leben

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Das Glockenläuten im Dorf meiner Großeltern ist das Geräusch meiner Kindheit; zusammen mit dem Zwitschern der Spatzen in deren großen Garten hinter dem Haus. Als jugendlicher Gottesdienstbesucher war mir dann vor allem das Läuten der Glocken während des Vaterunsers bewusst. Ich stellte mir vor, wie Menschen in meiner Stadt still das Gebet mitsprechen – durch die Glocken mit Besuchern in der Kirche verbunden. Hier leben Christen, du bist nicht allein. Das transportiert für mich noch heute das Läuten von Kirchenglocken. Ein tröstlicher Gedanke.

Doch das Glockenläuten kämpft um seine Selbstverständlichkeit. Christliche Gemeinden sehen sich genauso unter Druck wie die wenigen Moscheegemeinden in Deutschland mit Muezzin, die sich gegen manche Anfeindung verteidigen müssen. Schon jetzt schweigen nachts viele Kirchenglocken, weil sich Anwohner über das laute Stundenschlagen beschweren. In der Schweiz stand im vergangenen Jahr ein Deutscher vor Gericht, weil er mittels einer Zeitschaltuhr das ­morgendliche Läuten zum Gottesdienst ­unterbrochen haben soll. Um den Gang vor Gericht zu vermeiden, nehmen Kirchen­gemeinden in Läuteordnungen Rücksicht auf das Schlafbedürfnis Einzelner. Und läuten leiser, morgens später oder zu gewissen ­Zeiten gar nicht mehr.

Noch argumentiert das Bundesverwaltungsgericht beim Läuten zugunsten der ­Kirchengemeinden. Als „allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens“. Doch diese Definition setzt angesichts sinkender Mit­gliederzahlen die Kirche irgendwann unter Druck. Wo kirchliches Leben erlischt, löst sich das Läuten von seinem Zweck. Und liefert jenen Argumente, die Glocken als Lärm empfinden. Kein tröstlicher Gedanke.

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