Heftig umworben am Spieltisch

Die Organistensuche ist für viele Kirchengemeinden eine Herausforderung – Orgeltourismus beklagt

Lernt bei Bezirkskantor Tobias Markutzik in Kusel Orgelspielen: Lea Marquardt. Foto: M. Hoffmann

Ein höchst aristokratisches Vergnügen“ nannte Komponist Arnold Schoenberg das Orgelspielen. Und Vergnügen macht es auch heute noch vielen Organisten. Es gebe kaum ein anderes so vielschichtiges Instrument, mit dem man sowohl Klassik spielen könne als auch die Musik zu Star Wars, sagt die Landauer Bezirkskantorin Anna Linß. Trotzdem ist es für viele Kirchengemeinden mittlerweile eine Herausforderung, einen Organisten zu finden.

In Kaiserslautern wurden auch wegen des Organistenengpasses gar die Gottesdienstzeiten geändert. Jetzt kann Organistin Dorothea Riedl um 9.30 Uhr im Gottesdienst von Martina Abel spielen und um 11 Uhr, wenn Susanne Wildberger in der Apostelkirche predigt. „Bei einem Gottesdienst mit Abendmahl muss das Timing stimmen“, sagt Abel mit Augenzwinkern, die niemandem das Gefühl geben will, unter Zeitdruck zu stehen. Bisher funktioniert es ganz gut, die Vertretung Riedls übernimmt der ehemalige Lehrer Matthias Koderisch. Der 73-Jährige hat nach seiner Pensionierung den C-Schein gemacht und spürt die Nachfrage nach Organisten am eigenen Leib. Anfragen nimmt er aber hauptsächlich aus dem Stadtgebiet Kaiserslautern entgegen. Denn auch der Umwelt zuliebe fährt er lieber Rad.

Martin Reitzig, Bezirkskantor im Dekanat Donnersberg und dort Obmann des Landesverbands für Kirchenmusik, plädiert für eine größere Wertschätzung ausgebildeter Organisten. Pfarrer, die ihn bei Engpässen um Hilfe bitten, erklärten oft, sie wollten keine Organisten mit Prüfung, weil sie diesen mehr bezahlen müssten als solchen ohne. Dabei sei der Satz von 34,10 Euro für das Orgelspiel bei einem Hauptgottesdienst ohnehin nur eine Richtlinie – und liege unter der Bezahlung vieler anderer Landeskirchen. Gemeinden dürfen sogar bis zu zehn Prozent nach unten abweichen, wenn dies aus finanziellen Gründen anders nicht machbar sei. An den Grenzen der Landeskirche habe deshalb ein regelrechter Orgeltourismus eingesetzt. „Ich kenne drei Organisten, die regelmäßig nach Rheinhessen gehen zum Spielen“, sagt Reitzig.

Der Kuseler Bezirkskantor Tobias Markutzik an der Grenze zur rheinischen Landeskirche und Anna Linß, zuvor in der badischen Landeskirche, wissen ebenfalls um dieses Problem. Markutzik will im Pfarrkonvent auf eine einheitliche Bezahlung von Organisten drängen. Dass eine Gemeinde keine musikalische Begleitung an einem Sonntagsgottesdienst habe, bleibe zwar eine Ausnahme, habe aber in der letzten Zeit zugenommen, sagt der Kuseler Dekan Lars Stetzenbach.

Bereits jetzt helfen sich die Kollegen gegenseitig. „Wir sind in der Situation, dass wir sogar noch exportieren können“, sagt Pfarrer Christoph Bröcker in Glan-Münchweiler. Damit spielt er auf das Organistenpaar Karin und Karl Müller an. Beide tun seit gut 30 Jahren in Glan-Münchweiler und Dietschweiler Dienst, werden jedoch auch an andere Kollegen „ausgeliehen“. Denn nicht jeder hat solches Glück wie Bröcker. Teilweise fanden Gottesdienste bei seinen Kollegen schon ohne Orgelspiel statt. Während der Pfarrer schätzt, dass vor allem die mangelnde Kirchenbindung zu immer weniger Organisten führt, nennt Bezirkskantor Reitzig ein anderes Argument: Es würden kaum noch Verträge mit Organisten gemacht, die für beide Seiten mehr Planungssicherheit geben. Wohl auch nicht, um finanziell flexibel zu bleiben. Er habe schon erlebt, dass im Gottesdienst Playbackmusik eingesetzt werde – weil ungelernte Organisten das Stück nicht spielen können. Reitzig betont, dass er um die Finanzsorgen vieler Gemeinden – gerade wegen der Instandhaltungsrücklage – wisse. Es könne doch aber nicht sein, dass dies zulasten der Musik gehe.

Denn Nachwuchs ist da. Allein Bezirkskantorin Anna Linß hat zehn Orgelschüler, vom Zwölfjährigen bis zum Erwachsenen. Die Nachfrage nach Unterricht im Raum Landau ist zuletzt sogar gestiegen, große Engpässe bei Gemeinden kennt sie deshalb auch nicht. Regelmäßig macht sie auf Anfrage für Gruppen Orgelführungen.

Allerdings absolvieren die Ausbildung zum nebenberuflichen Kirchenmusiker mit 90 Personen um ein Viertel weniger als noch vor 20 Jahren, sagt Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald. Die Gründe dafür sieht er nicht am System der Ausbildung selbst. Hier sei man gut aufgestellt, auch wenn mangels Personal in der Landeskirche nicht alle Teilbereiche inklusive C-Prüfung angeboten werden könnten. Die Kosten für die Ausbildung lägen mit 215 Euro pro Semester – wenn Orgelunterricht gewünscht ist – deutlich niedriger als bei Musikschulen. Und auch die Honorierung für Orgelspieler sei angemessen.

Gründe für mangelndes Interesse sieht Steuerwald in der demografischen Entwicklung, anderem Freizeitverhalten und dem Rückgang von Kirchenmitgliedschaften. Daneben würden viele Musikschulen „kaputtgespart“, was dazu führe, dass die Basis – das Klavierspiel – fehle. Was Steuerwald aber besonders zu denken gibt: Wo er bisher bei Leuten, die keine kirchliche Prägung hatten, aber die Ausbildung bei der Landeskirche machten, eine Art Neutralität festgestellt habe, beobachte er jetzt mehr und mehr eine ablehnende Haltung, wenn er für die Ausbildung werbe.

Umgekehrt haben Menschen, die mit Kinderkirche und Konfirmandenarbeit aufwachsen, einen Bezug zum Instrument. „Seit ich elf war, wollte ich spielen“, sagt die 17-jährige Lea Marquardt, die seit einigen Jahren Unterricht bei Tobias Markutzik hat. Ihr Ziel im nächsten Jahr: die D-Prüfung. Dass ihr Orgelspiel in Rammelsbach häufiger gefragt ist, als sie Zeit hat – sie macht gerade ihren Schulabschluss –, musste sie auch schon feststellen. So lernt sie gleich etwas fürs Leben: „Man muss auch Nein sagen können.“ Florian Riesterer

Elektronische Orgelsysteme ersetzen Organisten

Vollelektronische Systeme sind Reaktionen auf den Organistenmangel. Das Ecantore-System von Kirchenelektronik Renkens im westfälischen Würselen passt an jede Orgel, am einfachsten geht dies bei elektronischen Trakturen. Für pneumatische und mechanische Trakturen ist ein individueller Manualaufsatz notwendig. Über eine Fernbedienung kontrolliert der Pfarrer oder Kirchendiener Liedauswahl aus bis zu vier Liederbüchern, Tempo und Lautstärke, oder kann Akkorde auf Wunsch halten lassen sowie je nach Anschluss die Registratur ändern.

Vermehrt würden auch Lautsprecheranlagen eingesetzt ganz ohne Orgel, sagt Geschäftsführer Stephan Renkens. Sie kämen im Klang an eine Pfeifenorgel heran, ein normaler Gottesdienstbesucher höre den Unterschied nicht. Für Gemeinden seien sie mit 2000 bis 2500 Euro günstiger als eine Trakturlösung mit rund 4500 Euro.

„Mir geht es nicht drum, Organisten abzuschaffen oder zu ersetzen“ sagt Renkens, der seit 25 Jahren Gottesdienste an der Orgel begleitet. Er kenne aber die verzweifelte Suche vieler Gemeinden nach Organisten. Deshalb habe er das System entwickelt. In der pfälzischen Landeskirche habe sich wie überhaupt im ganzen Südwesten Deutschlands anders als in Nord- und Mitteldeutschland allerdings noch niemand für das System interessiert, sagt Renkens. Im Übrigen verkaufe er deutlich öfter an katholische Gemeinden.

In der Pfalz ist unter anderem in der katholischen Kirche St. Laurentius im westpfälzischen Contwig seit drei Jahren ein Organola-System im Einsatz – vor allem bei den drei Gottesdiensten unter der Woche, aber ab und an auch beim Sonntagsgottesdienst, sagt Pfarrsekretärin Barbara Heidt. Die Kirchenorgel-Selbstspieleinrichtung vertreibt Klaus Holzapfel im schwäbischen Ziertheim-Reistingen. Die Anfragen werden immer mehr, sagt der Ingenieur. „Nicht, weil die Leute weniger musikalisch sind als früher, sondern sich niemand mehr am Sonntag an die Orgel setzen will.“ flor

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