„Graue Lady“ mit Verwandten aus ol’ Germany

Herausgeberfamilien Ochs und Sulzberger der „New York Times“ haben ihre Wurzeln in Süddeutschland - von Alexander Lang

Die „New York Times“ gilt als die beste Zeitung der USA und als eine der besten weltweit. Wegen ihres kritisch-fairen Qualitätsjournalismus genießt das linksliberale Blatt, das seit fünf Generationen den Nachkommen jüdischer Auswanderer aus Süddeutschland gehört, ein hohes Ansehen. Foto: New York Times

Die Reporter arbeiten in einem Großraumbüro, dem „Newsroom“, in Manhattan. Foto: New York Times

Die Familien Ochs und Sulzberger sind ein Paradebeispiel für einen gelungenen Neuanfang nach Flucht und Auswanderung: Der Richter Mayer Sulzberger (links) und der erste „New York Times“- Herausgeber Adolph Simon Ochs (rechts). Fotos: wiki

Sie ist die „graue Lady“ des US-Journalismus: Mutig und hartnäckig verteidigt die „New York Times“ Demokratie und Freiheitsrechte. Sie erhebt ihre Stimme für die Wahrheit – und legt sich dabei auch mit den Mächtigen an. Arthur Gregg Sulzberger, seit Januar neuer Herausgeber, machte sich gleich unbeliebt bei Donald Trump: Scharf kritisierte der 38-jährige gelernte Journalist in einem öffentlich ausgetragenen Streit dessen „Fake News“-Vorwürfe gegen die Medien. Trumps Attacken auf Journalisten seien „gefährlich und schädlich für unser Land“, sagte Sulzberger nach einem Treffen mit dem Twitter-Präsidenten Ende Juli im Weißen Haus.

Die „New York Times“ in Manhattan gilt als die beste Tageszeitung der USA und als eine der besten weltweit. Für ihren kritischen, aber fairen Qualitätsjournalismus wurde das linksliberale Blatt mit Pulitzerpreisen und anderen Ehrungen überschüttet. Bis heute ist es wegen seiner Unparteilichkeit, Unerschrockenheit und seriösen Recherche für viele Journalisten ein Vorbild. Seit 122 Jahren ist die „Times“ im Besitz der jüdisch-amerikanischen Familien Ochs und Sulzberger, die ihre Wurzeln in Deutschland haben – in Bayern, der Pfalz und in Baden.

Adolph Simon Ochs (1858 bis 1935), der Sohn jüdischer Emigranten, kaufte 1896 die vor der Pleite stehende „New-York Daily Times“. Ochs, sein Schwiegersohn Arthur Hays Sulzberger (1891 bis 1968) und dessen Sohn Arthur Ochs „Punch“ Sulzberger (1926 bis 2012) führten das Blatt unter neuem Namen an die Weltspitze. Ochs’ Ururenkel Arthur Gregg („A.G.“) Sulzberger leitet nun nach seinem 1951 geborenen Vater Arthur Ochs Sulzberger junior in fünfter Generation die Zeitung. Ihr Wahlspruch ist „All The News That’s Fit To Print“ (Alle Nachrichten, die zum Drucken geeignet sind).

Die Geschichte der Verlegerdynastie erzählt von Leid und Flucht, von Neuanfang und Aufstieg. Julius Ochs (1826 bis 1888), der Vater von Adolph Simon, wanderte 1844 aus dem bayerischen Fürth nach Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio aus. Der Sprachlehrer heiratete Bertha Levy, die 1833 in Landau in der Pfalz geboren wurde. Die junge Frau hatte sich 1848 in Heidelberg an blutig niedergeschlagen Studentenprotesten für einen liberalen Verfassungsstaat und die nationale Einheit beteiligt und floh nach Amerika.

Während ihr späterer Ehemann Julius im amerikanischen Bürgerkrieg als Hauptmann auf der Seite der Unionstruppen gegen die Sklaverei kämpfte, unterstützte Bertha seltsamerweise die rassistischen Ansichten der Südstaaten. Angeblich schmuggelte die einstige Pfälzer Freiheitskämpferin, die 1908 in New York starb, gar in ihrem Kinderwagen Arzneistoff für die Konföderierten-Armee. Ihr Sohn Adolph Simon arbeitete nach einer Druckerlehre als Setzer in Knoxville (Tennessee) und erwarb kaum 20-jährig mit geborgtem Geld die „Chatta­nooga Times“. Mit 38 Jahren gelang ihm mit dem Kauf der „New York Times“-Vorgängerin dann der große Coup.

Ochs, der auch Vorstandsmitglied der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) war, unterstützte die jüdische Kultusgemeinde seiner Heimatstadt Chattanooga. Anlässlich seines 70. Geburtstages stiftete er eine Synagoge und ein Gemeindehaus. Nach seinem Tod 1935 übernahm sein Schwiegersohn Arthur Hays Sulzberger, der seine einzige Tochter Iphigenie Bertha heiratete, das Ruder des Familienunternehmens und steigerte Auflage und Umsatz der „New York Times“. Auch Sulzberger war ein Deutschamerikaner, dessen Vorfahren aus Baden nach Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania ausgewandert waren. Die Ostküstenstadt war im 19. Jahrhundert neben New York das Zentrum jüdischer Auswanderer aus Deutschland und Europa in den USA. Arthur Hays’ Großvater Leopold Sulzberger (1805 bis 1881) hatte bereits 1838 Heidelsheim im Landkreis Karlsruhe den Rücken gekehrt. Dessen Bruder Abraham (1810 bis 1886), ein Kantor der dortigen jüdischen Gemeinde, folgte ihm nach antijüdischen Ausfällen 1849 mit seiner Familie nach, erzählt der Ortschaftsrat und Lokalhistoriker Steffen Maisch aus dem heutigen Stadtteil von Bruchsal. Für eine Publikation anlässlich der 1250-Jahr-Feier der ehemaligen kurpfälzischen Reichsstadt Heidelsheim im Jahr 2020 arbeitet ein Komitee die Ortsgeschichte auf – auch die der Juden. Darunter sind so klangvolle Familiennamen wie die Carlebachs, eine Rabbinerdynastie, sowie Bär, die Gründer des gleichnamigen schweizerischen Bankhauses.

In Philadelphia wirkte Abraham Sulzberger in einer jüdischen Kultusgemeinde und unterstützte den Bau eines jüdischen Krankenhauses. Traumatisch und prägend für sein weiteres Leben mussten für seinen Sohn Mayer Sulzberger die Hetzrufe „Der Jud’ muss raus!“ während der judenfeindlichen Ausschreitungen in Heidelsheim im Zuge der badischen Revolution von 1848/49 gewesen sein. Mayer Sulzberger (1843 bis 1923) wurde später ein hoch angesehener Anwalt und Richter in Philadelphia und eine der wichtigsten Persönlichkeiten des amerikanischen Judentums. Über Jahrzehnte setzte sich Mayer, unter anderem als Präsident des „American Jewish Committee“, für die Rechte amerikanischer Juden ein. US-Präsident William Howard Taft wollte ihn zum Botschafter in der Türkei ernennen, doch Mayer schlug das Angebot aus. Auch wurde er als Kandidat für ein Richteramt am Obersten Gerichtshof in Washington gehandelt.

Der Jurist Mayer Sulzberger förderte zudem das religiöse und geistig-kulturelle Erbe des Judentums. Vor allem aber sah er sich als ein Hüter der amerikanischen Verfassung, die allen Bürgern im Land gleiche Freiheitsrechte und Lebenschancen zuspricht. Als Emigrant hatte er erlebt, was es heißt, unfrei zu sein. Und er war dankbar dafür, in einem fremden Land neu starten zu können. Vielleicht prägt die Sulzberger-Dynastie auch deshalb bis heute die Überzeugung, dass politische und religiöse Freiheit als Fundament der Demokratie verteidigt werden müssen.

„Times“-Verleger Adolph Simon Ochs und seine Sulzberger-Nachfolger waren darauf bedacht, unparteiisch – und deshalb auch keine Fürsprecher des Judentums oder später des Staates Israel zu sein. „Arthur Hays Sulzberger erlebte den Antisemitismus, und er hatte Angst, dass seine Zeitung als ,zu jüdisch‘ angesehen werden könnte“, urteilte die Journalismusprofessorin Laurel Leff in ihrer Studie zur mangelhaften Berichterstattung der „New York Times“ über den Holocaust (2005). Der Verleger Ochs und seine Zeitung hätten auch aus assimilatorischen Gründen zwischen 1939 und 1945 versucht, den Mord der Nationalsozialisten an den europäischen Juden auszublenden, kritisierte sie.

Trotzdem muss sich die „New York Times“ bis heute antisemitischer Angriffe von Rechtsextremisten erwehren, die in ihr das Zentralorgan einer internationalen „jüdischen Weltverschwörung“ sehen wollen. Manche konservativen Juden werfen dem Traditionsblatt hingegen vor, zu israelkritisch zu sein und einseitig über den Nahostkonflikt zu berichten.

Auch die „New York Times“ machte im Zuge der Medienkrise schwere Zeiten mit Einbrüchen beim Anzeigengeschäft und bei der Auflage durch. Seit geraumer Zeit profitiert die Zeitung jedoch vom „Trump-Effekt“. Regelmäßig enthüllt sie neue Skandale und Affären des US-Präsidenten, etwa seine „Russland-Connection“ im Präsidentschaftswahlkampf und seine Frauengeschichten. Auch dass „A.G.“, der jüngste Sulzberger, dem Machtpolitiker die Zähne zeigt, hat der „New York Times“ viele neue Leser beschert. Die alte Dame des Journalismus mag grau sein, aber noch immer ist sie hellwach.

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