Gemeinde bauen ohne Kirche und feste Strukturen

In England tragen Pionierpfarrer den Glauben zu den Menschen in ihrem Alltag – Zwei Pfälzer Pfarrer informieren sich bei einer Konferenz

Internationales Treffen: Bänder dokumentieren die Selbsteinschätzung der Teilnehmer vor und nach der Konferenz. Foto: Rummel

Alle Jahre wieder ist die Bestürzung in den christlichen Kirchen groß, wenn die neue Mitgliederstatistik veröffentlicht wird. Gegen die Demografie ist auch die Kirche machtlos. Nicht aber gegen die 4900 Austritte in einem Jahr alleine in der pfälzischen Landeskirche. Von der reinen Zahl her sind das mehr als zwei Kirchengemeinden.

Seit Jahren kämpft die Landeskirche gegen diesen Trend. Viele Beratungsangebote sollen den Gemeinden helfen, vitaler zu werden, mit einem besseren Konzept an die Arbeit zu gehen, Ehrenamtliche besser einzubinden oder stärker in den Sozialraum der weltlichen Gemeinde hineinzuwirken. Zudem werden die Kirchengemeinden angehalten, mehr zu kooperieren und eigene Schwerpunkte herauszubilden. Und seit einigen Monaten gibt es auch die Möglichkeit, unverbindlich Neues auszuprobieren. Allein die Entwicklung der Mitgliederzahlen beeindruckt dies nicht.

Der Missionarisch-Ökumenische Dienst (MÖD) in Landau testet noch einen weiteren Ansatz. Er kommt aus England und nennt sich „Fresh expression“. Das steht für neue, frische Ausdrucksformen von Kirche und Glauben. Auch die katholische Kirche ist an diesem Weg interessiert. Felix Goldinger vom Bistum Speyer hatte nun eine Reise zu einer Konferenz mit Vertretern vieler verschiedener Länder nach England organisiert, um das Konzept besser kennenzulernen. Für die Landeskirche waren Pfarrerin Stefanie Schlenczek vom MÖD und Pfarrer Andreas Rummel, Referent im Landeskirchenrat, mit dabei. Beide sind begeistert.

Die Kirche von England fahre zweigleisig, erzählt Schlenczek. Sie bilde Pfarrer aus, die nach gewohntem Muster Dienst in einer Gemeinde tun. Das sei wichtig für die Gläubigen, die feste Strukturen wollten. Darüber hinaus gebe es dann die sogenannten Pionierpfarrer. „Sie gehen einfach zu den Menschen, ohne Kirche, ohne weitere Gebäude.“ Die Pioniere machen keine festen, konkreten Angebote. Sie kon­zent­rieren sich ganz auf das, was die Menschen brauchen oder wollen. Schließlich wüssten die Menschen vor Ort am besten, was ihnen guttut, sagt Schlenczek.

So ist in England etwa in einem Fitnessstudio ein wöchentlicher Treff zum Thema „gesundes Leben“ entstanden. Es gibt Vorträge und ein gesundes Mittagessen. Wer will, kann dann noch darüber reden, was Spiritualität für die Gesundheit bedeuten kann. Oder, ein weiteres Beispiel, es wurde ein kleiner Raum an einer Schule gefunden, in dem sich Eltern treffen, die ihre Kinder abholen. Bei einer Tasse Kaffee kommen sie ins Gespräch über gemeinsame Freuden und Sorgen mit den Kindern und der Schule. Bei diesen Gesprächen könne dann auch ein ganz neues, überraschendes Bild vom sorgenden Vater im Himmel entstehen, sagt Schlenczek.

Idealerweise bleiben diese neuen Gemeinden zusammen, wenn der Pionierpfarrer längst weitergezogen ist. Aber das müsse nicht sein, sagt die 30-jährige Pfarrerin. Vielleicht hätten sich auch Verbindungen zur herkömmlichen Kirchengemeinde ergeben, vielleicht starteten einige Menschen aus der Gruppe eine neue Initiative. Wichtig sei, dass Menschen eine eigene Form fänden, in der ihr Glaube Gestalt gewinnen könne, und sie sich die Frage stellten, was sie für sich und andere Gutes tun können.

In England habe er erfahren, dass immer dann Neues entstehe, wenn man dem Ruf Jesu folge, sagt Pfarrer Rummel. Es reiche nicht, darauf zu warten, dass Menschen zu den kirchlichen Veranstaltungen kommen. Die Kirche müsse sich vielmehr selbst auf den Weg zu den Menschen machen, mitten in ihren Alltag hinein.

Ob ein solch neuer Weg auch in der Pfalz Erfolg hat, ist offen. Schlenczek gibt jedoch zu bedenken, dass es sich bei dem englischen Konzept eher um einen alten Weg der Kirche handelt. Die Jünger Jesu haben ja auch nicht in einem Steinhaus gesessen und gewartet, bis die Menschen zu ihnen kamen. Das Bistum Speyer jedenfalls will mit Joachim Lauer, der auch bei der Konferenz in England dabei war, bald einen ersten Pionierpfarrer losschicken. In der Landeskirche sei so etwas noch nicht im Gespräch, sagt Rummel. Klaus Koch

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