Für die Ärmsten trotz starker Gängelei

Pfälzer Protestanten unterstützen Hilfsprojekte der lutherischen Kirche in Bolivien – Besuch bei Partnern

Gemüse für gesunde Ernährung der Migrantenfamilien vom Land: Der Tagelöhner Félipe vor seinem Gewächshaus in El Alto. Foto: all

Jorge Aquino.

Die Kirchen im ärmsten Land Südamerikas haben es nicht leicht unter dem Sozialisten Evo Morales. „Der Staat hilft keiner Kirche“, sagt Emilio Aslla Flores. Der Kirchenpräsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Bolivien ist enttäuscht von dem indigenen Regierungschef, der 2006 angetreten war, allen Menschen im einstigen Land der Inkas ein „gutes Leben“ (buen vivir) zu ermöglichen. Doch stattdessen entwickele sich Morales zu einem autokratischen Herrscher. Er dränge den Einfluss der Kirchen stark zurück und gängele sie, beklagt Flores im Einklang mit vielen Kirchenvertretern in dem Andenstaat.

Die Kirchen müssten Steuern bezahlen, erhielten im Gegenzug aber keine staatliche Unterstützung, kritisiert Flores. Darunter litten vor allem die vielen Armen, denn die Kirchen in Bolivien engagieren sich vor allem in der Sozialarbeit, oft ökumenisch. Ohne die Unterstützung von Kirchen aus Europa und den USA könnten viele Kirchen nicht überleben. „Zu 90 Prozent wird die Arbeit unserer lutherischen Kirche von Partnern gefördert“, erzählt Flores einer achtköpfigen Gruppe aus der Evangelischen Kirche der Pfalz, die zwei Wochen lang die ökumenischen Partner in Bolivien besuchte.

Nur rund 15000 Mitglieder in 110 Gemeinden zählt die lutherische Minderheitskirche in dem katholisch geprägten Land. Die 1938 von Missionaren aus den USA gegründete Iglesia Evangélica Luterana Boliviana (IELB) mit Sitz in La Paz ist schwerpunktmäßig in sechs größeren Städten aktiv. Dort unterstützt sie besonders notleidende Migranten aus ländlichen Regionen. Seit vielen Jahren bringen sich auch mehrere Gruppen aus der pfälzischen Landeskirche in die Bolivien-Partnerschaft ein. 3000 Euro überreichte Florian Gärtner, Pfarrer für Weltmission und Ökumene, bei dem Besuch für Projekte der IELB; 2000 Euro gab das Gustav-Adolf-Werk (GAW) Pfalz. Der 44-jährige Tagelöhner Félipe ist dankbar für die Hilfe aus Deutschland. Neben seinem Haus am Stadtrand von El Alto, der auf mehr als 4000 Meter Höhe gelegenen Schwesterstadt von La Paz, hat er ein Gewächshaus aus Backsteinen und Holz gebaut. Unter dem Planendach wachsen Tomaten, Salat, Karotten und anderes Gemüse, das er für seine und vier weitere Familien nutzen und auch verkaufen kann.

Die IELB stellt den Zuzüglern vom Land kostenlos die Materialien für den Bau der Gewächshäuser bereit. Das Projekt will die gesunde Ernährung der Menschen fördern und ihr finanzielles Auskommen verbessern.

Bis zu 40 arbeitslose Frauen lernen in einem lutherischen Kinder- und Familienzentrum in El Alto, wie man strickt und näht. Durch den Verkauf von Pullovern oder Schals wollten die Frauen etwas Geld verdienen, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, erzählt die Leiterin Rita. Die „Katarinas“ – sie haben sich nach der Luther-Ehefrau Katharina von Bora benannt – diskutieren auch über Menschen- und Frauenrechte. Sie stellen sich gegen häusliche Gewalt und gesellschaftliche Diskriminierung als „Landfrauen“.

4000 Euro gibt das GAW Pfalz zudem aus seiner diesjährigen Sammlung für den Neubau eines Gemeindezentrums in der Stadt Tarija, informiert der Vorsitzende, Pfarrer Philipp Walter. Auch in Viacha, einer Mittelstadt in der Nähe der Zwei-Millionen-Metropole La Paz, bauen die Lutheraner derzeit ein Gemeindezentrum – mit Unterstützung des GAW. Neben mehreren Kirchenbauten fördert das bundesweite Missionswerk zudem in der Stadt Caranavi seit Jahren ein Mädcheninternat der IELB.

Trotz der für sich schwierigen politischen Situation müsse die lutherische Kirche in Bolivien in Zukunft auf eigenen Füßen stehen können, betont Emilio Aslla Flores. Zwar hoffe man weiterhin auf finanzielle Unterstützung auch von den Partnern aus der Pfalz, etwa beim Aufbau der kirchlichen Infrastruktur. Doch eines macht der Kirchenpräsident deutlich: „Freundschaft ist wichtiger als Geld.“ Alexander Lang

Musikalischer Botschafter in Europa aus dem Land des Kondors

Jorge Aquino will die Lebensumstände der Landbevölkerung in Bolivien verbessern – Mit „Sacambaya“ sammelt er Geld für ein Kulturzentrum

Er ist stolz auf seine Inka-Wurzeln, und sein Herz schlägt für sein Volk. Der Mann, den alle respektvoll nur „Coco“ nennen, hat seine Lebensaufgabe darin gefunden, die Situation der indigenen ländlichen Bevölkerung in Bolivien zu verbessern. Vor 35 Jahren gründete der 65 Jahre alte Agaringenieur Jorge Aquino in seiner Heimatstadt Independencia, einer abgelegenen 3000-Einwohner-Stadt im Andenhochland, das Kulturzentrum „Ayopayamanta“.

Ziel der Selbsthilfe-Initiative ist es, die lokalen Traditionen der armen Bauern zu stärken und ihnen ein Auskommen zu verschaffen: Frauen werden in einer Nähwerkstatt ausgebildet, Dörfer werden mit Trinkwasser versorgt, es gibt Nachhilfeunterricht für Kinder, eine Bibliothek, einen eigenen Radiosender für die Region, ein Kino, einen ökologischen Garten und ein Gästehaus. Auch wird Solarstrom produziert, der an die Regierung verkauft werden soll.

„Unsere Jugend zu bilden, ist das Wichtigste“, sagt Aquino, der auch privat begabte Jugendliche bei einer Berufsausbildung unterstützt. Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff hat ihn Ende der 1960er Jahre dazu motiviert, etwas für seine eigenen Leute zu tun. Anders als der marxistische Guerillaführer Che Guevara habe dieser nicht auf Gewalt im Kampf um die Rechte der Menschen Südamerikas gesetzt. „Gewalt bringt nur Gewalt“, sagt der Mann, der gerne Hut und Poncho trägt.

Teil des Kulturzentrums „Ayopayamanta“ ist auch die Musikgruppe „Sacambaya“. Alle drei Jahre touren Aquino und seine Musiker durch Europa. Bei Konzerten auch in pfälzischen Kirchengemeinden sammeln sie nicht nur Geld für dessen Projekte. Mit Informationen über Land und Leute wollen sie auch einen Beitrag zur kulturellen Verständigung leisten. „Musik ist ein gutes Mittel, um Menschen zu verbinden“, sagt Aquino. Der Vater von vier Kindern studierte auch in Deutschland, seine Ehefrau Rita, eine frühere Entwicklungshelferin, lebt in Ludwigshafen.

Der „Macher“ Jorge Aquino will bleiben im Land des Kondors. „Ich kann hier in Bolivien noch einiges bewegen.“ 500 Jahre lang sei die Stimme der indigenen Bevölkerung nicht gehört worden, sagt er. Die Menschen hätten ihr Selbstwertgefühl verloren. Spanische Eroberer und korrupte Regierungen hätten die Inkas und deren Nachkommen unterdrückt. Seine Heimatstadt Independencia („Unabhängigkeit“) war ein Hort der Freiheitskämpfer gegen den Kolonialismus. „Hier wurden die letzten Spanier getötet“, erzählt er. An diese stolze Vergangenheit will „Coco“ seine Landsleute weiter gemahnen. „Sie müssen wieder Mut finden.“ all

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