Führungszeugnis ist mehr als nur Prävention

von Klaus Koch

Klaus Koch

Das ist auf den ersten Blick irritierend. Alle Presbyterinnen und Presbyter der Landeskirche müssen ab der kommenden Legislaturperiode ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Das kann vor allem das Selbstverständnis der Ehrenamtlichen erschüttern, die sich seit Jahrzehnten für ihre Kirche engagieren, in ihren Gemeinden bekannt und respektiert sind. Und das ist jetzt der Dank dafür: Sie müssen nachweisen, dass sie keine Sexualverbrecher sind. Nun ist von Generalverdacht die Rede, ein Presbyter hat aus Verärgerung über das neue Gesetz sein KIRCHENBOTE-Abonnement gekündigt. Auch Synodalpräsident Lorenz war zu Beginn der Synode skeptisch.

Doch dann geschah Erstaunliches: Mit nur einer Gegenstimme – es war nicht die des Synodalpräsidenten – stimmte die Synode zu. Oberkirchenrätin Marianne Wagner und vor allem die Leitende Rechtsdirektorin Bettina Wilhelm, auch Missbrauchsbeauftragte der Landeskirche, warben eindringlich und überzeugend für das Führungszeugnis. Es geht eben nicht um einen Generalverdacht. Die Landeskirche setzt vielmehr ein entschlossenes Zeichen gegen das gesamtgesellschaftliche Problem Missbrauch. Wer Kontakt zur Kirche hat, soll so gut wie irgend möglich vor sexuell bestimmtem Handeln geschützt werden. Die evangelische Kirche ist zwar bei Weitem nicht so stark von Missbrauchsfällen betroffen wie die katholische. Aber die Aufarbeitung innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland hat ergeben, dass Täter gezielt das Umfeld Kirche wählen, weil viele Menschen dieser Institution besonders vertrauen.

Vieles in der evangelischen Kirche wirkte nach Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche aktionistisch. Mancher ätzte, dass Protestanten, wenn immer sie die Chance sähen, Schuld zu bekennen, dies auch genussvoll täten. Doch die Maßnahmen, einschließlich des Führungszeugnisses, gehen über Prävention hinaus. Die Kirche will nicht nur sicherstellen, dass Menschen bei ihr geschützt sind, sie will Anwalt und Schutzraum werden für Opfer sexueller Gewalt in der ganzen Gesellschaft. Diese schützende und helfende Rolle kann sie aber nur glaubhaft wahrnehmen, wenn sie selbst alles unternimmt, um unbescholten zu bleiben.

Diese Haltung muss kommuniziert werden. Bis zur Presbyteriumswahl ist noch ein Jahr Zeit. Da reicht es nicht, wenn sich die Verantwortlichen in der Landeskirche nun zurücklehnen und froh sind, das Gesetz durch die Synode gebracht zu haben. Und die Synodalen dürfen sich nicht wegducken, wenn in ihren Kirchenbezirken und Gemeinden Kritik aufkommt. Denn nur wenn Presbyterinnen und Presbyter wissen, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind, die sich für Schwache, Gedemütigte und Misshandelte einsetzt, werden sie ein Führungszeugnis beantragen. Sie werden es wahrscheinlich nicht mit Stolz tun. Aber sie werden es tun.

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