Ein widerständiger Parteigenosse

Trotz NSDAP-Mitgliedschaft hat ein Pfälzer Pfarrer gegen das NS-Regime opponiert – von Thomas Fandel

Hier predigte Pfarrer Karl Wiedmann von 1935 bis 1939: Die protestantische Kirche in Herxheim am Berg. Foto: Franck

An dem Herxheimer Pfarrer Karl Wiedmann lässt sich das schwierige Verhältnis von Protestantismus und Nationalsozialismus in der Pfalz ex­emp­larisch beleuchten. Deutlich werden zum einen die großen Hoffnungen, die viele protestantische Christen in die NSDAP gesetzt hatten und die unter anderem dazu führten, dass ein Hakenkreuz auf einer Glocke in einer evangelischen Kirche wie in Herxheim am Berg aus damaliger Perspektive keineswegs als problematisch angesehen wurde. An Wiedmann lässt sich aber auch zeigen, dass die faktische kirchenpolitische und weltanschauliche Entwicklung im Dritten Reich zu einer tiefen Desillusionierung bei einem Teil evangelischer NSDAP-Anhänger führte.

Trotz theologischer Bedenken setzten immer mehr protestantische Pfarrer und Theologiestudenten in den letzten Jahren der Weimarer Republik politische Hoffnungen in die Partei Hitlers. Neben der Abwehr des „Schreckgespenstes” Bolschewismus versprachen sie sich auch im Kampf gegen den politischen Katholizismus Unterstützung durch die NSDAP. Außerdem erhofften sich evangelische Pfarrer von der NSDAP einen Aufschwung des kirchlichen Lebens. Sie stützten sich bei dieser Einschätzung auf von der SA verordnete Gottesdienstbesuche.

In dieser Hochphase der Beziehung von NSDAP und Protestantismus trat Pfarrer Karl Wiedmann in die Partei ein. Geboren wurde er 1906 in St. Ingbert. Nach dem Abitur studierte er Theologie in Heidelberg, Leipzig und Erlangen. Es folgten Stellen als Pfarrverweser in Rheingönheim und Friesenheim. Seit 1933 war Wiedmann in Ludwigshafen beim Evangelischen Verband tätig. In Ludwigshafen heiratete er 1932 Minna Luise Schlimmer, die Tochter des in der Landeskirche stark engagierten Ludwigshafener Oberstudiendirektors Johannes Schlimmer.

Karl Wiedmann trat der NSDAP im Mai 1933 bei – also gerade noch rechtzeitig, bevor eine Mitgliedersperre dem massenhaften Eintritt in die Partei Hitlers einen Riegel vorschob. Nach einem Dokument in den Gestapo-Unterlagen im Landesarchiv Speyer erklärte Wiedmann, er sei schon als Gymnasiast Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung gewesen, später auch Parteimitglied, dann aber wieder ausgetreten. Nach Mitteilung seiner Frau kam der erneute Parteieintritt 1933 unter dem Einfluss des als kirchlich geltenden Ludwigshafener NSDAP-Kreisleiters Wittwer zustande.

Karl Wiedmann übernahm die Kirchengemeinde Herxheim am 1. September 1935. Im Jahr zuvor war die Kirche durch Brandstiftung zerstört worden. Dem Brand fielen auch die Glocken zum Opfer. Bereits im Dezember 1934 kamen wieder drei Glocken in den Turm – darunter die sogenannte „Polizeiglocke“, die der politischen Gemeinde gehört und die aufgrund ihrer Inschrift in den vergangenen beiden Jahren so viel Aufsehen erregte.

Als Pfarrer ging es Wiedmann um ein überzeugtes biblisch fundiertes Christentum. Er war die prägende Gestalt einer Gruppe vorwiegend junger Theologen, die sich regelmäßig trafen und 1937 die gegen die Deutschen Christen gerichtete theologische Erklärung von Barmen aus dem Jahr 1934 als richtungsweisend anerkannten. Bereits 1936 hatte Wiedmann zu einigen wenigen Theologen gezählt, die nicht bereit waren, einen vom Landeskirchenrat geforderten Nachweis der „arischen“ Abstammung der Pfarrer und ihrer Ehefrauen zu erbringen. Entsprechend wurde Wiedmann von der Gendarmerie Freinsheim als „Gegner der Juden- und Rassenfrage“ eingeschätzt.

In den Gestapo-Akten im Landesarchiv findet sich ein Beleg für die Überwachung Wiedmanns durch den NS-Apparat bereits im März 1936. Ab Herbst 1936 geriet er dann immer stärker ins Visier der Nationalsozialisten. Am 16. Oktober informierte Ortsgruppenleiter August Kissel die NSDAP-Kreisleitung über Predigten des Pfarrers, die durch einen Lehrer denunziert worden waren. Entscheidend in diesen Predigten ist die unmissverständliche Ablehnung der NS-Blut-und-Boden-Ideologie durch das NSDAP-Parteimitglied Wiedmann.

In einer Zeit, in der nicht wenige Theologen das Alte Testament als ein Dokument des Judentums am liebsten ganz verleugnet hätten, bezieht ausgerechnet ein NSDAP-Parteimitglied klar Position. Nach Angaben des Ortszellenleiters von Leistadt hatte Wiedmann bei einer Predigt in Leistadt gesagt: „Von dem Volke Israel ist schon ein großer Segen über die Menschheit ausgegangen. Die Judenfrage kann nur gelöst werden durch das Kreuz von Golgatha.“ Und „Gott hat sich uns durch die Geburt Jesus in einer fremden Rasse geoffenbart“.

Nach einer Reihe weiterer Vorfälle dieser Art war der Ausschluss Wiedmanns aus der NSDAP am 15. Dezember 1937 fast zwangsläufig. In der Begründung hieß es: „Ihre amtliche Tätigkeit lässt jede Rücksicht auf Ihre Pflichten als Parteigenosse, die Sie freiwillig übernommen haben, vermissen. Sie zeigen bei jeder Äußerung, dass Sie dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstehen.“ Wiedmann legte zunächst Einspruch ein. Doch letztlich bestätigte das Gaugericht am 9. Juni den Ausschluss endgültig. Warum Wiedmann so hartnäckig an seiner Parteimitgliedschaft festhielt, ist unklar. Angesichts seiner klaren theologischen Haltung ist es unwahrscheinlich, dass er noch auf eine Kehrtwende der NSDAP in weltanschaulichen Fragen hoffte. Eher dürfte er seine Parteimitgliedschaft als Stütze seiner Autorität gegenüber dem Ortsgruppenleiter verstanden haben.

Eine weitere Eskalation der Verhältnisse in Herxheim verhinderte der Krieg, an dem Wiedmann wie viele junge protestantische Theologen teilnahm. Obwohl sein Jahrgang noch nicht eingezogen werden sollte, wurde seiner freiwilligen Meldung stattgegeben. Als Soldat kämpfte er in dem von Hitler entfesselten Krieg subjektiv wohl für Deutschland, aber objektiv auch für jenen nationalsozialistischen Staat, der ihm als Pfarrer das Leben so schwer machte.

Nach der Rückkehr aus dem Krieg blieb Wiedmann noch zwei Jahre in Herxheim. 1947 wechselte er nach Neustadt. Nach seinen Erfahrungen in der NS-Zeit hatte sich der Pfarrer einen Neubeginn im kirchlichen Leben gewünscht, das sich an der Theologie Karl Barths und den Barmer Thesen orientieren sollte. Aus seiner Perspektive brachte die Nachkriegszeit aber nicht den angestrebten Wandel hin zu einem entschiedenen Christentum.

Wiedmann starb 1973. Aus seinen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus hatte er wesentlich radikalere Konsequenzen gezogen als die meisten seiner Pfarrerkollegen. Er zählte zu den führenden Köpfen der 1945 gegründeten „Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft der Pfalz“ (KTA). Diese legte schonungslos das Versagen der Landeskirche offen. Die KTA-Theologen bezogen sich ausdrücklich in ihre Kritik ein. In einer Denkschrift hieß es: „Der größte Teil der Pfälzer Gemeinden, der Pfarrerschaft und die gesamte Kirchenleitung“ seien „betont nationalsozialistisch gesinnt“ gewesen. Der Widerstand sei „ein partieller, kein prinzipieller“ gewesen. Damit wurde schon 1946 beschrieben, was heute akzeptierter Stand der historischen Wissenschaft ist, aber nach dem Krieg für Jahrzehnte durch Kirchenkampf-Legenden verdrängt wurde.

Der Autor

Thomas Fandel ist Direktor des Speyerer Bistumsarchivs. Seine Dissertation schrieb er über Pfälzer katholische und evangelische Pfarrer in der Zeit des Nationalsozialismus. Den Vortrag zu Pfarrer Wiedmann, der hier in Auszügen abgedruckt ist, hielt Fandel im Mai auf einer Veranstaltung der protestantischen Kirchengemeinde und der Ortsgemeinde Herxheim am Berg. KB

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