Dilemma zwischen Wollen und Vollbringen

von Renate Haller

Renate Haller

Schüler, die ab dem kommenden Schuljahr freitags für das Klima streiken, müssen mit Strafen rechnen. Das kündigte der Präsident der Kultusministerkonferenz Alexander Lorz an. Er meint: Die „Fridays for Future“-Bewegung habe ihr Ziel erreicht. In der Öffentlichkeit und in der Politik sei ihr Anliegen angekommen. Wenn sich der Minister da mal nicht täuscht. Viele reden übers Klima, aber bis zum Gegensteuern ist es ein weiter Weg.

Einen Hinweis, dass langsam etwas in Bewegung kommt, gibt ein neues Wort, das wie „Fridays for Future“ aus Schweden kommt: „Flygskam“, Flugscham. Die empfinden Menschen, die die Umwelt schonen wollen, aber dennoch in einen Flieger steigen. Das Dilemma zwischen Wollen und Vollbringen kannte schon Paulus: Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich (Römer 7, 19). „Das Böse“ ist das Fliegen nun nicht, unter Umweltgesichtspunkten das schlechte Gewissen aber allemal wert. Wer sich nicht wohlfühlt bei dem, was er tut, lässt es vielleicht irgendwann – eine erzieherische Funktion der Scham, die dem Klima zugutekäme.

Ein Flug von Frankfurt nach Lissabon etwa schlägt in der persönlichen Klimabilanz mit 924 Kilo Kohlendioxid zu Buche. Gemessen an den durchschnittlich zwölf Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß jedes Bundesbürgers pro Jahr mag das in Ordnung sein. Laut „Atmosfair“, einem Non-Profit-Kompensationsanbieter, dürfte klimaverträglich jeder Bürger aber nur 2300 Kilo Kohlendioxid im Jahr auf seinem Konto verbuchen. Zahlen, die die Größe dessen erahnen lassen, was Klimaschutz bedeutet.

Viele Privatpersonen und Firmen versuchen schon jetzt, ihre Bilanz zu verbessern, indem sie ihren Kohlendioxidausstoß kompensieren. Ein Rechner ermittelt, wie viel Kilo Gas eine Konferenz, eine Schiffsreise oder ein Flug verursachen. Dann rechnet er aus, was es kostet, ein Projekt zu unterstützen, das den Ausstoß an anderer Stelle verringert, etwa durch Aufforstungen oder effiziente Holzöfen in Afrika. Den Flug von Frankfurt nach Lissabon zu kompensieren, würde 22 Euro kosten. Das klingt nach modernem Ablasshandel. Wer Geld hat und kompensiert, darf ungebremst fliegen.

Leider machen noch so hohe Zahlungen keinen Flug ungeschehen. Aber wer Projekte für den Umweltschutz finanziert, zeigt, dass er oder sie ein Problembewusstsein entwickelt hat. Je mehr Menschen merken, dass Klimaschutz nicht nur etwas für die Politik ist, sondern auch für jeden Einzelnen, desto mehr Klimaschutz kann finanziert werden.

Was nicht hilft, ist Einzelne an den Pranger zu stellen und die Moralkeule zu schwingen. Wer Bewusstsein für ein Problem schaffen will, muss über Ursachen und Folgen informieren. Denn wer freiwillig seinen Lebensstil ändert, zieht andere Menschen mit. So wie Schüler weltweit. Die Androhung von Strafen wirkt kleinlich.

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