Die Suche nach dem Osterlachen

Die opulente kirchenmusikalische Karfreitagsliteratur lässt der Osterfreude wenig Platz zur Entfaltung

Wird unter Bachs Stücken deutlich seltener aufgeführt als die Johannes- oder Matthäus-Passion: Das Osteroratorium. Foto: Seebald

Die Bemerkung einer Chorsängerin gab den Anstoß. „Immer singen wir zu Ostern die gleichen Sätze.“ Woraus sie, durchaus nachvollziehbar, folgerte: „Wir Protestanten können uns halt nicht richtig freuen.“ Und tatsächlich: Angesichts der segensreichen Fülle gerade barocker Passions- und Trauerliteratur mutet der Output an Ostermusiken vergleichsweise bescheiden an.

Heike Messerschmidt, Gemeindepfarrerin in Bellheim und Vorsitzende des Landesverbands für Kirchenmusik, bestätigt diesen Eindruck bedingt. Sie untermauert die Aussage der Chorsängerin mit einer eigenen Erfahrung: Der Sänger eines Gospelchors habe ihr gegenüber moniert, dass „wir Evangelischen uns zu viel mit dem Kreuz beschäftigen. Immer nur Leid, Trauer und Schuld.“ Satt des Kreuzes müsse ein Bethlehem-Stern über dem Altar hängen. Friede und Freude – so sollte die Botschaft lauten.

Aber, so die Theologin: „Ohne Karfreitag gibt es kein Ostern. Wir müssen durch das Dunkel hindurch, und es gilt theologisch auch: Der Auferstandene verliert seine Wundmale nicht. Anders gesagt, durch das Dunkel hindurch muss immer wieder gegangen werden.“ Messerschmidt bekennt aber, dass sie gerade im Segment Osterlieder ihre persönlichen Hits ansiedele. Ohne „Der schöne Ostertag“ (EG 117) sei für sie kein Ostern. „Dieses Lied transportiert für mich ganz viel von der Freude am neuen Leben, von der Hoffnung auf die Auferstehung am Tage.“ Das neue Liederbuch „Wo wir dich loben plus“ beherberge Perlen wie, „Wir stehen am Morgen“ (Nr. 219). Das Lied verbinde geschickt Auferstehungsthematik mit befreiungstheologischen Aspekten, was sich gut ergänze. „Das singe ich an Ostern mit meiner Gemeinde.“

Gleichwohl, wer sich als Chorsängerin oder Chorsänger die persönlich wichtigsten Erlebnisse ins Gedächtnis ruft, wird ganz rasch bei den großen Passionen Johann Sebastian Bachs landen. Oster-Oratorium, Himmelfahrts-Oratorium? Selten begegnet.

Eine Umfrage unter den Bezirkskantoren liefert ein kontroverses Ergebnis. Robert Sattelberger in Speyer bestätigt den passionslastigen Eindruck. Stefan Ulrich in Homburg will „jenseits aller Gemeinplätze“ vor allem den Spürsinn in Sachen verschütteter Literatur stimuliert wissen. Immer noch gäbe es Unbekanntes auszugraben. Er nennt eine Programm-Sonate von Richard Bartmuß für Orgel mit dem inspirierenden Titel „Auferstehungsmorgen“. Ähnlich wie Sattelberger äußert sich Johannes Fiedler, Bezirkskantor in Bad Dürkheim, der in diesem Jahr Bachs Markus-Passion in der Schlosskirche aufführt. „Stimmt schon, mein Fokus liegt immer stärker auf der Passionsliteratur“, so sein klares Bekenntnis.

Bei Simon Reichert in Neustadt wird zu Karfreitag die Bach’sche „Matthäus-Passion“ zur Aufführung kommen. Er unterstreicht allerdings auch die Bedeutung seiner Ostermusiken. So gibt es am Ostersonntag im Gottesdienst die Bachkantate „Christ lag in Todesbanden“ zu hören. Für 2020 ist die „Osterhistorie“ von Thomas Selle in Planung. „Zum Thema Auferstehung ist bei uns stets was los“, so sein Kommentar. „Karfreitag und Ostern bedingen einander. Das Eine resultiert aus dem Anderen, deshalb bespielen wir auch beides mit großem Engagement.“

Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald wehrt sich gegen die angeblich vernachlässigte „Osterfreude“. Als Beispiel aus der „Fülle wunderbarer Ostermusiken“ nennt er das Auferstehungs-Oratorium von Heinrich Schütz, allein neun österliche Bachkantaten, dessen Oster- und Himmelfahrts-Oratorium sowie „Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ von Carl Philipp Emanuel Bach. Auch bei Telemann werde man mehrfach fündig. „Natürlich können diese Werke es an Popularität und Aufführungshäufigkeit nicht mit den beiden Passionsmusiken von Bach nach Matthäus und Johannes aufnehmen“, sagt Steuerwald. „Kantaten für die Sonntage der Passionszeit wird man bei Bach und seinen Zeitgenossen allerdings vergeblich suchen. Mit geringfügigen Ausnahmen schwieg in dieser Zeit die Kirchenmusik.“

Bei Gründen ganz anderer Art sind sich die Landauer Bezirkskantorin Anna Linß in Landau und Kollege Martin Reitzig in Kirchheimbolanden einig. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten, spielten eine Rolle. „Karfreitag ist eher Bereitschaft vorhanden, sich im kirchlichen Umfeld zu bewegen“, sagt Reitzig. „Ostern ist vermehrt für Familie und Urlaub reserviert. Deshalb wird es schwieriger, die Akteure etwa für ein Konzert zu rekrutieren.“ Anna Linß bestätigt das. „Natürlich fordern die Passionsprogramme stark.“ Anschließend werde vielfach die Osternacht gefeiert. „Dann ist man vom Morgengrauen bis zum 10-Uhr-Gottesdienst – auch mit schöner Kirchenmusik übrigens – als Sänger auf den Beinen. Danach ist einfach die Luft raus.“ Dennoch werde für sie der Ostertag ein Festtag – mit einer in Bläserklang erstrahlenden Kantate von Gunther Martin Göttsche. Und freudigem Osterlachen. Gertie Pohlit

Frohe musikalische Botschaft in Pirmasens

Im evangelischen Kantorat an der Johanneskirche Pirmasens ist die frohe Osterbotschaft schon seit Wochen in die Passionstrauer hineingeklungen. Es musste ja geprobt werden. Und Bezirkskantor Maurice Antoine Croissant, der ein breites Spektrum kirchenmusikalischer Literatur zum Klingen bringen will, operiert gerne am Rande des Gängigen. In diesem Jahr bedeutet das den Verzicht aufs traditionelle Passionskonzert. Dafür stellt er ein Werk von Johann Sebastian Bach in den Fokus, dem man nicht oft begegnet.

Das Oster-Oratorium BWV 249, uraufgeführt 1725, hat es nicht zur Popularität der drei großen Passionen geschafft. Was nicht an mangelnder handwerklicher Qualität liegt. Bach parodierte für das Werk wesentliche Teile aus einer weltlichen Schäferkantate. Lediglich die Rezitative sind neu komponiert.

Textdichter ist vermutlich Bachs Leib- und Magenlibrettist, Christian Friedrich Henrici, genannt Picander. Dass sich das Opus, in dem der Chor ganz nach Kantaten-Art lediglich mit Eingangssatz und Schlusschoral betraut ist, mit dem Beiname Oratorium schmückt, hat mit seiner erzählenden Prosa zu tun. Die handelnden Protagonisten sind Maria Magdalena (Alt), die andere Maria (Sopran), Petrus (Tenor) und Johannes (Bass). Geschildert wird die Situation am leeren Grab Jesu.

Bezirkskantor Croissant verknüpft das Oster-Oratorium, das am Sonntag, 28. April, um 18 Uhr in der Johanneskirche Pirmasens zur Aufführung kommt, sinnfällig mit zwei Kantaten von Johann Sebastian Bach, BWV 4 „Christ lag in Todesbanden“, und BWV 55 „Erfreut euch, ihr Herzen“, komponiert auf Ostermontag 1724. Er liefert damit den beredten Beweis: Es gibt sie – die herrlichen Werke der Oster­freude. gpo

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