Die Dokumentation: Theologe und gelehrter Mann

Was Sophie von La Roche von den „geistlichen Seelenärzten“ erwartet hat

Das blaue Haus in der Speyerer Maximilianstraße: Hier wohnte Sophie von La Roche von 1780 bis 1786. Das Haus war Anziehungspunkt für berühmte Gäste. Foto: Landry

Wer Speyer besucht, wird in der Regel auch an dem blauen Haus in der Maximilianstraße, direkt gegenüber der Dreifaltigkeitskirche, vorbeikommen und erinnert sich vielleicht, dass hier von 1780 bis 1786 Sophie von La Roche mit ihrem Mann und den zwei jüngsten Söhnen wohnte. Dieses Haus war damals ein Anziehungspunkt für berühmte Gäste. Selbst Schiller und Goethe besuchten die Hausherrin, worauf man in Speyer immer noch besonders stolz ist.

Von Speyer aus hat Sophie von La Roche eine der ersten bekannten Frauenzeitschriften veröffentlicht, die das Ziel hatte, heranwachsende junge Frauen mit dem Alltagsleben bekannt zu machen. In dieser Zeitschrift, mit dem Namen „Pomona“, hat Sophie von La Roche im Jahr 1784 auch etwas dazu geschrieben, was man von einem evangelischen Pfarrer erwarten darf.

Sophie von La Roche lebte in einer konfessionell gemischten Ehe. Ihr Mann war ein hoher Beamter des Trierer Fürstbischofs gewesen, und die zahlreichen Kinder mussten alle katholisch erzogen werden. Doch sie selbst hat immer am evangelischen Glauben festgehalten.

Im „21. Brief an Lina“ schreibt sie von den Pfarrern: „Man nennt sie Geistliche, weil ihr ganzes Amt sich auf den Geist bezieht – Theologen oder Gottesgelehrte, weil sie die Lehre von Gott, seinen Eigenschaften, seiner Güte für uns, und unsre Pflichten gegen ihn lehren. Da in den Schriften, welche du schon jetzo liesest … sehr oft die Worte antreffen mußt, welche man Kunstwörter nennt, weil sie nicht in den gewöhnlichen Unterredungen, Briefen oder Schriften vorkommen, sondern nur, wenn von der Kunst oder Wissenschaft gesprochen wird, wozu sie gehören, und einen Theil davon benennen – so sollst du auch die zur Theologie gehörenden kennen lernen, wie ich dir die von der Arneykunst bekannt machte: – nicht, mein Kind! Damit du sie in deinen Briefen und Unterhaltungen gebrauchest, welches du nach meinem Willen nie thun sollst, sondern damit du den Sinn verstehest … Ein Theologe muss schon, wenn er als ein gelehrter Mann auftreten will, eine Sprache mehr wissen, als die Herren Mediziner, – Hebräisch, damit er einen wichtigen Teil seiner Wissenschaft sich recht eigen machen kann, nämlich: Erstens die Regeln der Auslegung, Exegetik, welche die Stellen der heiligen Schrift, nach den beiden Grundsprachen, in welchen sie geschrieben worden, erklärt, das Alte Testament im Hebräischen, und das neue im Griechischen. Daher kommt oft, dass ein Prediger auf der Kanzel sagt: im Grundtext heißt es so.“

Dieser erste Abschnitt zeigt den großen Respekt, den Sophie von La Roche vor dem Beruf des Pfarrers hatte. Auffällig ist es, dass sie ihn mit einem Mediziner vergleicht. Ihr Vater war Arzt, und sie hatte vor dem Arztberuf immer eine besondere Hochachtung. Und ein Pfarrer muss sogar noch eine Sprache mehr als der Arzt kennen: das Hebräische.

Als ich diesen Text zum ersten Mal las, habe ich daran gedacht, dass ich vor etwa zwei Jahrzehnten zufällig in dem Antiquariat, das sich noch heute in dem früheren Wohnhaus von Sophie von La Roche befindet, ein gebrauchtes hebräisches Altes Testament entdeckte mit dem Namen einer jungen Theologin, die gerade ihr zweites Examen abgelegt hatte und ins Pfarramt ging. Brauchte sie nun kein hebräisches Altes Testament mehr? Sophie von La Roche hätte sich sicher darüber gewundert.

In weiteren insgesamt zwölf Abschnitten beschreibt Sophie von La Roche die einzelnen theologischen Fächer. Da wird die Dogmatik genannt. Sie enthält die Glaubenssätze „nach der angenommenen Lehre der Kirche, zu welcher der junge Gottesgelehrte sich bekennt, wo die Bibel zum Grunde gelegt, mit der gesunden Vernunft und Weltweisheit bekräftigt, die Lebenspflichten der Christen festgesetzt“ werden. Hier ist „mit der gesunden Vernunft und der Weltweisheit“ eine Formulierung gewählt, die den Hintergrund der Aufklärung zeigt, der sich Sophie von La Roche zugehörig fühlte, auch durch ihren Mann, der ein Vertreter der katholischen Aufklärung war.

Besonders schön sind die Ausführungen von Sophie von La Roche, wenn es um die Praxis des Pfarrers geht. So kann sie zur Homiletik, der Lehre vom Predigen, schreiben, dass es in ihr um die Regeln geht, „wie die Predigten bündig, rührend, und durch Hilfe der Beredsamkeit und schönen Wissenschaft angenehm gemacht werden“. Stellen wir uns das heute auch noch vor, dass die Predigten „angenehm“ sein sollen?

Aber der Pfarrer muss auch „die Kunst besitzen, alle gegenseitigen Meinungen anderer Kirchenlehren zu widerlegen. Diese heißt Polemik. Dazu gehört nothwendig … vollkommene Kenntniß der Kirchengeschichte, welche den Ursprung der Religion, der Ceremonien, das Schicksal und die Lehren der Kirchenverbesserer, Reformatoren, das Steigen und Verfallen der Religion, Verfolgungen, welche die einen oder anderen Glaubensverwandte duldeten, lehret.“

Zur klugen Aufführung in seinem wichtigen Amt leitet den Pfarrer die Pastoraltheologie an, von dem lateinischen Wort „Pastor“: „ein Hirte, wie er seine Herde pflegen, dulden, von Irrwegen bewahren oder zurückbringen, trösten, ermahnen und bestrafen solle.“

Interessant ist eine theologische Disziplin, die der heutigen Pfarrerschaft so nicht einfallen würde, die Ascetik. Sie belehrt über die Mittel, wie man sich in der Gottseligkeit übt: „wie Andacht und gute Gesinnungen zu erwecken und zu erhalten sind, gibt Anweisung zum Lesen der heiligen Schrift, geistlicher Gedichte und Erbauungsschriften, Vorschriften zum Gebet, und ermuntert, sich christliche Tugenden zu eigen zu machen“. Ist uns solche Anleitung zum geistlichen Leben heute noch wichtig oder können wir damit gar nichts mehr anfangen?

Etwas seltsam mag uns anmuten, was Sophie von La Roche von der Moral schreibt. Da ihre Vorschriften „nicht wörtlich für jeden Vorgang da stehen, so geschieht oft, daß einem Weltmann, einem Geschäftführer, und auch Frauenspersonen, die in der Jugend eine strenge Sittenlehre hörten, Sachen vorkommen, wo sie sich nicht gleich zu helfen wissen, und Skrupel oder Gewissenszweifel haben: da muss der Beichtvater oder Pfarrherr raten und beruhigen können.“ Besonders erstaunlich ist, dass nicht nur Kenntnisse in der Kirchengeschichte und zu den verschiedenen christlichen Konfessionen verlangt werden, „sondern auch die von den Juden, von Mahumedanern, – alle Arten heidnischer Begriffe von Gott und der Moral, die Sätze und Gedanken alter und neuer Weltweisen, sofern sie die nämlichen Gegenstände betreffen“.

Vor allem aber muss ein Pfarrer, „wie der Arzt wissen, wie er mit Kindern, wie mit Erwachsenen, wie mit Menschen, die voll Leidenschaft sind, mit denen von guter Erziehung und Geist, wie mit Versäumten und dummen, mit Furchtsamen, Niedergeschlagenen, Zweifelhaften, Unversöhnlichen, Starrbösen, in gesunden und kranken Tagen, zu ihrem besten, zur Leitung im guten, zur Bestärkung darin, zur Geduld im Leiden und Unglück umzugehen hat“. Hier sind große Anforderungen an den Umgang mit den Gemeindemitgliedern gestellt, die für Sophie von La Roche aber selbstverständlich sind. Am schönsten ist der Abschnitt, der diese Aufzählung abschließt: „O! es ist gewiss ein heiliges Amt, den Menschen den Weg der Verdienste zur ewigen Glückseligkeit zu lehren, im Leben führen auf diesem Weg, an dem Ende, wenn Weh und Schmerz den Körper leiden machen und verzehren, die Seele durch Rückerinnerung an diese Lehren zu stärken, sie freudig an die Stunde denken machen, wo ihre gänzliche Trennung von diesem leidenden Körper sie zu dem Glück der überzeugenden Wahrheit der Lehre Christi und der verheißenen Seligkeit ohne Ende führen wird!“

Insgesamt stellt Sophie von La Roche in ihrem Bild vom Pfarrer doch vor allem den Seelsorger vor, der sich um seine Gemeindemitglieder in allen Lebensfragen bis zum Tode kümmert und begleitet. Sie vergleicht gleich mehrfach den Beruf des Pfarrers mit dem von ihr so hoch geschätzten Beruf des Arztes.

Zugleich werden an den Pfarrberuf auch hohe geistige Anforderungen gestellt. Es ist gar nicht so einfach, all diese Ansprüche zusammenzubringen. Doch Sophie von La Roche hat in ihrem Leben durchaus Pfarrer gekannt, die diesem Bild entsprochen haben. Leider hat sie aber nichts über die Pfarrer berichtet, die damals in Speyer tätig waren. Eigentlich schade, das wäre schon interessant gewesen.

Eberhard Cherdron war bis 2008 Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz. Der ausführliche Beitrag erscheint im „Pfälzischen Pfarrerblatt“.

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