Die Dokumentation: Hoffnung verkünden

Vielfältige Flüchtlingsarbeit der Partnerkirchen des Gustav-Adolf-Werks in Europa • von Maaja Pauska

Ankunft in Rom: Eine kirchliche Initiative hilft Flüchtlingen aus Syrien. Foto: epd

Griechenland: Nach einer mehrjährigen „Ruhepause“ hat die Situation mit den Flüchtlingen und Migranten an der Küste Griechenlands wieder ein Niveau erreicht, das an Herbst und Winter 2015/2016 erinnert. Pfarrer Meletis Meletiadis, ehemaliger Moderator der Griechisch-Evangelischen Kirche, sieht einige Unterschiede zu der früheren Fluchtkrise. „Diesmal ist die griechische Gesellschaft, wahrscheinlich aufgrund der Erschöpfung, nicht mehr so einladend. Es gibt eine wachsende Opposition gegen die Anwesenheit dieser Ausländer, nicht zuletzt, weil viele der Neuankömmlinge keine Kriegsopfer sind, sondern Migranten aus Afrika auf der Flucht vor der Armut und in Hoffnung auf ein besseres Leben.“

Sollte die Türkei demnächst das bilaterale Abkommen mit der EU vom 16. März 2016 aufkündigen und Flüchtlinge und Migranten aus ihrem Hoheitsgebiet ausreisen lassen, könnte die Situation in Griechenland außer Kontrolle geraten, befürchtet Meletiadis. Die Griechisch-Evangelische Kirche ist in die Flüchtlingsarbeit eingestiegen, als 2015 an der Grenze zu Nordmazedonien riesige Zeltlager entstanden. Aus den ersten Einsätzen von Freiwilligen aus den Gemeinden haben sich professionell arbeitende Hilfswerke entwickelt.

In Athen leben bei der Nichtregierungsorganisation Pharos Minderjährige ohne Papiere, in Nordgriechenland in Katerini bietet Perichoresis verschiedene Programme an, die Gemeinde in Milotopos hat drei Flüchtlingsfamilien aus Syrien aufgenommen. Ein Programm von Perichoresis ermöglicht die Unterbringung von rund 600 Flüchtlingen in Wohnungen, die alle eine ausreichende Ausstattung für ein normales Leben bieten. Mit dem Sozialunternehmen Peri-Ergon bietet Perichoresis Geflüchteten die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen.

Einige Flüchtlinge nähen jetzt Einkaufstaschen aus gespendeter Kleidung. Aus dem Plastik der Flüchtlingsboote werden Geldbörsen hergestellt, die sich mit geringem Gewinn verkaufen lassen. Hilfreich ist für die Flüchtlingsarbeit der Griechisch-Evangelischen Kirche die Unterstützung vom Gustav-Adolf-Werk, so Pfarrer Meletiadis: „Auch im Namen der Kirchenleitung möchte ich die tiefe Dankbarkeit für die Solidarität und Großzügigkeit ausdrücken. Ohne die Hilfe des GAW und der Menschen, die dahinterstehen, hätten wir das, was wir aus Gottes Gnade tun, nicht schaffen können.“

Spanien: Viele Gemeinden der Spanischen Evangelischen Kirche (Iglesia Evangélica Espanola – IEE) unterhalten lokale Initiativen zur Unterstützung von Geflüchteten. Im Verhältnis zu ihrer geringen Größe stellen die Gemeinden eine große diakonische Arbeit auf die Beine. Pastor David Manzanas aus Alicante betreut mit seiner Frau vier Gemeinden im Presbyterium Levante. Es ist das kleinste der sieben Presbyterien der IEE mit maximal 250 dazugehörenden Mitgliedern. Die 30-köpfige Gemeinde in Alicante mit der Kirche im Stadtzentrum versorgt 320 Familien mit Lebensmitteln. An zwei Tagen in der Woche können Menschen ihre Lebensmittelpakete abholen. Es sind hauptsächlich Marokkaner und Algerier, aber auch arme Spanier und Latinos. Die Lebensmittel werden von der Banco de Alimentos und der Europäischen Union gestellt. Die Verteilung und Registrierung erfolgt durch Freiwillige der Gemeinde. „Das wiederum stärkt unsere Gemeinde“, sagt David Manzanas. „Wir können ganz praktisch Hoffnung verkündigen! Wir verteilen die Lebensmittel in unserer Kirche. Dabei verkündet auch der Raum Hoffnung und nicht nur die Gaben.“

In Jaca und El Escorial hat die IEE das Projekt „Ein Neues Zuhause“ gestartet. Dort sollen Flüchtlinge für 18 Monate aufgenommen und bei der Integration unterstützt werden, sodass sie unter anderem ihre Grundbedürfnisse selbstständig decken können. Vor Weihnachten schloss sich die IEE dem deutschen kirchlichen Aktionsbündnis United4Rescue an und sammelte Spenden für den Kauf eines Rettungsschiffs für Flüchtlinge im Mittelmeer.

Italien: Die Flüchtlingsarbeit der Kirchen in Italien hat sich in den vergangenen Jahren sehr ausdifferenziert und professionalisiert. Die bekannteste Initiative sind „Corridoi Umanitari“ (Humanitäre Korridore). Sie haben in Zusammenarbeit mit dem Staat mehr als 2800 Menschen einen legalen und sicheren Weg aus verschiedenen Flüchtlingslagern nach Italien ermöglicht. Es sind diejenigen Geflüchteten, die den Schutz am dringendsten brauchen, aber den rettenden Weg nach Europa selbstständig nicht schaffen würden. Die evangelisch-katholische Initiative, bestehend aus der Föderation Evangelischer Kirchen, der Waldenser- und Methodistenkirche und der Gemeinschaft Sant’Egidio gilt inzwischen als Vorbild für Kirchen in anderen Ländern. Im Dezember 2019 berichtete eine Delegation der Corridoi Umanitari im Europäischen Parlament in Brüssel von den positiven Erfahrungen in Italien und unterbreitete den Vorschlag für europäische humanitäre Korridore für 50.000 Menschen aus Libyen und den Nachbarländern.

Das jüngste Projekt des evangelischen Bündnisses Mediterranean Hope ist das Rosarno-Projekt zur Entwicklung und Förderung einer ethischen Lieferkette für Agrarerzeugnisse. In Italien und auch in manchen anderen Ländern würde die Ernte ohne Migranten nicht mehr funktionieren. Dabei wird jedoch deren unsichere Rechtslage ausgenutzt. Sie werden für einen Hungerlohn ausgebeutet und vegetieren in Zeltstädten oder Slums. Paolo Naso, Koordinator von Mediterranen Hope, betont: „Unsere Orangen und unser Öl sollen nicht durch die Ausbeutung von Einwanderern erzeugt werden.“

Frankreich: In Frankreich ist die ökumenische Flüchtlingsorganisation Cimade bewusst auch politisch sehr aktiv. Ihr 80. Jubiläum 2019 feierte sie mit einem Flüchtlingskulturfestival genauso wie mit Protesten. In 26 Städten erinnerten die Demonstrierenden an den Migrationshintergrund von berühmten Französinnen und Franzosen und fragten: „Hätten Moïche Zakharovitch Chagalov, Sara Illinichtna Stern oder Maria Salomea Sk?odowska – besser bekannt unter den Namen Marc Chagall, Sonia Delaunay oder Marie Curie – in Frankreich bleiben können, wenn zu ihrer Zeit die heutige Repressionspolitik gegenüber Migranten geherrscht hätte?“ Die konkrete und praktische Hilfe erfolgt alltäglich durch 90 Gruppen im ganzen Land.

Ungarn: Die ehemals sozialistischen Länder östlich von Deutschland werden für ihre Flüchtlingspolitik oft gerügt. Trotz der ungünstigen politischen Atmosphäre gibt es seitens der Kirchen vielfach Unterstützung für geflüchtete Menschen. „Wir sind die einzige Kirche in Ungarn, welche – sehr stolz – seit der Zeit des EU-Beitritts 2004 mehr und mehr organisiert mit Flüchtlingen gearbeitet hat“, betont Balázs Ódor, der Auslandsreferent der Reformierten Kirche in Ungarn. In der Anfangszeit arbeitete die Kalunba Non-Profit GmbH als „Flüchtlingsmission“ der Kirche. 2015 wurde die Arbeit umstrukturiert und professionalisiert. „Heute erfolgt der Einsatz für Flüchtlinge unter sehr schwierigen politischen, gesellschaftlichen und finanziellen Umständen“, so Pfarrer Ódor. „In den letzten zwei Jahren waren wir gezwungen, ausschließlich aus eigener kirchlicher Finanzierung und von der Unterstützung unserer Partner zu leben – dem Schweizer Hilfswerk HEKS sowie Kirchen aus dem Rheinland, aus Westfalen und aus Lippe, außerdem dem Reformierten Bund.“

Das Ungarische Reformierte Hilfswerk wiederum leistet einen wichtigen Dienst in den sogenannten Transitzonen, in denen Asylbewerber unter erbärmlichen Umständen festgehalten werden, solange ihr Verfahren läuft. Die Freiwilligen der Kirche bieten humanitäre und psychosoziale Unterstützung an. Die meisten Gemeinden in Ungarn haben jedoch schon wegen der geringen Zahl der anerkannten Flüchtlinge im Land kaum Berührungspunkte mit ihnen.

Estland: In Estland ist aktuell die Integration der zahlreichen Arbeitsmigranten aus der Ukraine ein größeres Thema als die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Sogar die geringen Aufnahmequoten, zu denen sich das Land im Rahmen von europäischen Relocation-Programmen bereit erklärt hat, werden nicht erfüllt, weil die Geflüchteten westeuropäische Länder vorziehen.

Mit Unterstützung der lutherischen Kirchengemeinde in Risti ist zumindest eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien in Estland heimisch geworden. Seit 2016 wohnt die inzwischen fünfköpfige muslimische Familie im Diakoniehaus der Gemeinde. Pfarrerin Annika Laats berichtet, dass die Kinder aktiv am Sommerlager der Gemeinde teilnahmen, die Mutter in der Gemeinde mithilft, der Vater als Koch für den Familienunterhalt sorgt. In ihrem Rundbrief appelliert die Pfarrerin an die Gemeindemitglieder: „Bitte bleibt in Verbindung mit der Familie. Für sie ist es schwieriger, sich an unser sachlich-eiliges Alltagstempo zu gewöhnen als an die dunklen Abende und die Kälte.“

Maaja Pauska ist Pressesprecherin des Gustav-Adolf-Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Beitrag erschien im GAW-Magazin „Evangelisch weltweit“ 1/2020.

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