Die Dokumentation: Bekennen und Bekenntnis

Aktuelle Überlegungen zu einem Grundthema des christlichen Glaubens • von Klaus Bümlein

Allein die Heilige Schrift: Unionszug 1818 in Kaiserslautern. Foto: Archiv

Wer glaubt denn so was?“ So fragt der „Spiegel“ zu Ostern 2019. Dabei geht es nicht zuerst um überlieferte Glaubens-Bekenntnisse, sondern um den Bibel-Glauben selber. „Kirchen verlieren massiv an Einfluss“, diagnostiziert der ehemalige Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Und die Fähigkeit wie die Bereitschaft, vom eigenen Glauben Rechenschaft zu geben, sinkt rapide. Wir berühren also ein sensibles Feld, wenn das Bekenntnis betroffen wird.

1968 feierten wir 150 Jahre Pfälzische Unionskirche. Ich erinnere mich an einen reichen Kalender, an Vorträge und Ausstellungen. Aber beherrscht war das Jahr vom studentischen Aufbruch, von Protesten gegen unglaubwürdige Institutionen. Farbe bekennen war angesagt. Schon damals blitzte es in unserer Kirche auf: Bekennen ist ja ein Grundthema christlichen Glaubens. In welchem Sinn und mit welchen Folgen? Das stand damals wie heute infrage.

Glauben bekennen gehört ins Zentrum der Bibel. Glauben bekennen: an den Gott, der Abraham zum Aufbruch aus der alten Heimat beruft; der Mose in der Wüste anspricht und ihn zum Zeugen seiner Taten bestimmt. Bekennen heißt: einem solchen Auftrag vertrauen und mit seinem Leben antworten. Bekennen meint handeln, tätig werden. Nicht von ungefähr begegnet uns in der Bibel das Tätigkeitswort „bekennen“ viel häufiger als das Substantiv „Bekenntnis“. Bekennen ist etwas Aktives, das persönliche Konsequenzen hat. In den Evangelien wird dies bei der Berufung der Jünger deutlich. Wer Jesus nachfolgt, setzt sich Risiken aus und gewinnt eine neue Perspektive. Was für eine Zusage: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Und was für eine Frage an Petrus, den Felsen, den Verleugner, am Ende des vierten Evangeliums: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“

In der Bibel gehören persönliches und gemeinsames Bekennen aufs Engste zusammen. Durch Abraham sollen alle Völker gesegnet werden. Mose wird beauftragt, das Volk Gottes aus der Knechtschaft zu führen und die Gebote am Sinai zu empfangen. Darum sind die Wege Israels immer neu vom gemeinsamen Bekennen gesäumt. „Höre, Israel“, das „Schema Israel“ ist bis heute ein gemeinsames Grundbekenntnis.

Und das Neue Testament enthält eine Vielzahl gemeinsamen Bekennens, eine reiche Mannigfaltigkeit, von dem einfachen „Jesus ist der Kyrios, der Herr“ bis zu dem Hymnus auf den Weg Christi von ganz oben bis hinunter ans Kreuz, und dann: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Oder bei Johannes im Auferstehungs-Kapitel vom „Rabbuni“ Marias von Magdala bis zum „Mein Herr und mein Gott“ des Zweiflers Thomas. Bekenntnis vor der „Welt“, vor einer nicht christlichen Mehrheitsgesellschaft des „Imperium Romanum“ konnte höchst riskant werden. Unversehens sind wir in der Gegenwart, wenn es stimmt: „Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft“, so Volker Kauder. Das biblische Bekennen im Sinn der persönlichen und gemeinsamen Antwort auf Gottes Taten und Worte in Christus bleibt also uneingeschränkt wichtig.

In der frühen Kirche haben sich, über die Bibel hinaus, weitere Bekenntnisse herausgebildet. Einerseits aus dem Taufbekenntnis, als verdichtetes „Summarium“ davon, was es heißt, ein Christ zu werden. Von besonderem Rang wurde im Westen das Apostolische Bekenntnis (5. Jahrhundert); im Osten das Bekenntnis von Nicäa 325, erweitert in Konstantinopel 381. Beide hatten eine wichtige Funktion im Gottesdienst. Mit ihnen bekannten die Gemeinden ihren gemeinsamen Glauben. Ein Bekenntnis des Lobes, aber auch der Schuld wie beim biblischen Bekennen. Beide dienten auch der Abwehr von Irrwegen, der Abgrenzung gegen Verzerrungen des Glaubens. Der schöne Name „Symbolon“ zeigt an, dass die Bekenntnisse über ein buchstäbliches Verständnis hinaus den Tiefensinn des „Credo“ zu Wort bringen und das bleibende Geheimnis des Einen Gottes in Vater, Sohn und Heiligem Geist preisen.

Die Reformation versuchte, von der Autorität der Bibel und Jesus Christus als Mitte her, Missbräuche zu überwinden und das Evangelium als wahres Licht neu zu gewinnen. Die Reformatoren wollten sich nicht von der einen Kirche lossagen, sondern sie gemäß dem Worte Gottes reformieren. Mit dem mehrfachen „Allein“ waren die Haupttendenzen zusammengefasst: allein die Heilige Schrift – allein Christus – allein die Gnade – allein der Glaube. Dabei dachten weder Luther noch Zwingli, weder Melanchthon oder Calvin daran, die altkirchlichen Bekenntnisse zu verwerfen.

Allerdings sahen sich die Reformatoren genötigt, ihr Glaubensverständnis, im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche, neu zu formulieren. Besonders wichtig: die „Confessio“ 1530, von Melanchthon erarbeitet für den Reichstag von Augsburg. Dazu Luthers Kleiner und Großer Katechismus von 1529 und andere Schriften. Sie wurden 1580 als „Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ verbindlich zusammengefasst.

In einigen wichtigen Fragen, vor allem beim Verständnis des Heiligen Abendmahls, konnten die reformierten Kirchen dem Augsburger Bekenntnis von 1530 nicht zustimmen. So entstanden eigene Bekenntnisse, auch für unsere Region. Besonders wirksam wurde der Heidelberger Katechismus von Zacharias Ursinus (1534 bis 1583) und Kaspar Olevian (1536 bis 1587) mit seinen drei wohldurchdachten Teilen: „Von des Menschen Elend“, „Von der Erlösung“, „Von der Dankbarkeit“.

Unsere Region links des Rheins nahm an der allgemeinen Entwicklung der westlichen Christenheit teil. Dem Missionar Pirminius, im pfälzischen Hornbach 753 gestorben, verdanken wir gar eine frühe Überlieferung des Apostolischen Bekenntnisses. Die „Dictata Pirminii“ schrieben jedem der zwölf Apostel einen Satz des alten „Credo“ zu!

In der Reformationszeit brachte der Speyerer Reichstag 1529 den aktuellen Sinn des Bekennens ins Bewusstsein. Eine Minderheit protestierte gegen den Beschluss der Reichstagsmehrheit, die lutherische Lehre zurückzudrängen. Die „Protestatio“ bedeutete einen reichsrechtlichen Einspruch; aber sie ließ auch das Wagnis persönlichen Bekennens anklingen. Schon 1529 wurden allerdings die Spannungen zwischen oberdeutschen Reformierten und Wittenberger Lutheranhängern schmerzhaft deutlich. Sie wurden zum Schicksal gerade der Pfalz. Die Grafen von Leiningen, von Nassau-Saarbrücken, die Städte Speyer und Landau bekannten sich nach 1555 zum Luthertum. Die großen Territorien der Kurpfalz und Pfalz-Zweibrückens aber gingen zum „Calvinismus“ über. Das hieß: Ein konfessioneller Dauerstreit tobte zwischen den zwei Flügeln der Reformationskirchen.

Als die beiden Richtungen der Reformation 1818 zu einer vereinigten protestantisch-evangelischen Kirche zusammenfanden, erlebten dies die meisten pfälzischen Protestanten als Erfüllung sehnlicher Wünsche. Das Gemeinsame der Reformation sollte die alten Unterschiede überwinden. Aufklärung wie Pietismus hatten vorgearbeitet. Erst recht waren es die Umwälzungen der Französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft und die Zuordnung der linksrheinischen Pfalz zu Bayern 1815, die alte Mauern einrissen. Ein vernunftfreundlicher Geist beflügelte die Unionsanfänge. Als Grundlage sollte mit der Synode von 1818 allein die Bibel, ja zunächst nur das Neue Testament, genügen. Die Bekenntnisse der alten Kirche wie die der Reformation erklärte man im Überschwang 1818 für „völlig abgeschafft“.

Eine besonnene Korrektur veränderte die Formulierung 1821 so, dass nach der Heiligen Schrift die Bekenntnisse der alten Kirche wie der Reformation „in gebührender Achtung“ gelten sollten. Das ist genau die Formulierung, die in der kürzlich erfolgten Neufassung des Paragrafen 2 der pfälzischen Kirchenverfassung wieder aufgegriffen wird. „Das Bekenntnis der Protestantischen Landeskirche ist ausgesprochen in ihrer Vereinigungsurkunde. Sie hält die altkirchlichen sowie die in den lutherischen und reformierten Kirchen gebräuchlichen Bekenntnisse in gebührender Achtung, erkennt jedoch keinen anderen Glaubensgrund und keine andere Lehrnorm an als allein die Heilige Schrift.“ Die Formulierung „gebührende Achtung“ bringt das „sola scriptura“ auf eine ungewöhnliche, aber nicht irreführende Art zum Ausdruck. Sie bleibt zudem dem lebenswichtigen biblischen Bekennen und dem biblischen Christus-Zeugnis verpflichtet. Und sie rückt die regionale Farbe der Pfälzer Unionsanfänge vor Augen und bleibt damit offen für heutige theologisch-ökumenische Diskurse.

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