Der Königin stets zu Diensten

Orgelbauer wie Markus Graser haben nicht nur in der Pfalz wegen Bestandsrenovierungen gut zu tun

Können das Ergebnis ihrer Arbeit mit Händen greifen und Ohren hören (von links): Markus und Renate Graser. Foto: Landry

Der Weg hinauf zur Orgelempore der Gedächtniskirche nimmt sich ungewohnt still aus an diesem frühen Morgen. Markus Graser und seine Frau Renate postieren ihre Werkzeuge zu Füßen der großen „Königin“, die stumm und majästetisch ihrer kosmetischen Pflege harrt. Seit mehr als 35 Jahren kümmert sich der Orgelbauer, der in Harthausen lebt, bereits um das imposante „Baby“ in der Speyerer Kirche, irgendwie ist das so ein bisschen „seine“ Orgel. Auch wenn er mit kaum weniger Augenglanz von den Dom-Orgeln berichtet, die er ebenfalls vor rund zehn Jahren unter seine Fittiche nehmen durfte.

Rund ein Dutzend Stimmungen pro Jahr kommen da im Dom schon zusammen, listet er auf, in der Gedächtniskirche sind es ein paar weniger. Aber immer mal sind Kleinigkeiten zu reparieren, Ausbesserungen vorzunehmen, Minimalschäden zu beseitigen, bevor sie zu sich zu echten Problemen ausweiten. Die stattliche Zahl von 150 Klienten beziehungsweise Orgeln hat Markus Graser in sporadischer oder steter Obhut. Angesichts seines kleinen Betriebs – er arbeitet gemeinsam mit seiner Frau – erübrigt sich die Frage nach der Auslastung.

„Alle Orgelbauer haben im Moment viel zu tun“, sagt Markus Graser. Auch wenn es – zumindest in der Pfalz – dabei weniger um Neubauten als vielmehr  um die Pflege des Bestands geht. „In unserer ländlich geprägten Pfälzer Region waren die Menschen früher arm. Das heißt, sie pflegten ihren Orgelbestand eher, als dass sie zu Neuanschaffungen griffen. Daher verfügen Pfalz und Saarpfalz über einen stattlichen Bestand an historischen Instrumenten.“

Man begnügte sich also damit, das Vorhandene zu erweitern oder dem Zeitgeist anzupassen. Mit oft haarsträubenden Konsequenzen, die klangliche Gebilde schufen, die weder im Kirchenraum noch in sich selbst stimmig waren. Authentizität ist ein Wunsch jüngerer Zeit; und hat vermehrt Restaurierungsanstrengungen in Gang gesetzt.

Speziell die sogenannte Orgelbewegung und in ihrer Folge barock-affine Dispositionen, die zwanghaft Orgeln jeglicher Art übergestülpt wurden, setzte manchem Pfälzer Kleinod übel zu. Sünden, die es zu tilgen gilt. Aber nicht das allein schafft Arbeit für die Orgelspezialisten. Die Probleme mit Schimmel, Staub und Schäden haben eklatant zugenommen. „Viele Kirchen“, gibt Graser zu bedenken, „haben keine Pflege mehr, weil der Kirchendiener eingespart ist, werden über Winter nicht mehr geheizt oder an Weihnachten spontan hochgeheizt, dann wieder der Kältestarre ausgeliefert. Das schadet der Orgel extrem.“

Markus Graser lobt an dieser Stelle Gero Kaleschke, den Orgelbausachverständigen der Landeskirche, als verlässlichen Partner. Kaleschke unterstütze die Zunft bei einem weiteren Aspekt. „Zusehends wird wieder zu herkömmlichen Materialien gegriffen. Die Innovationseuphorie der Jahre vor der Jahrtausendwende ist zum Glück überwunden.“ Wieder wird zu Holz, Leder und Filz anstelle von Kunststoffen gegriffen, die aufgrund enthaltener Weichmacher oft unliebsame chemische Reaktionen hervorrufen. Glutinleim ersetzt wieder Pattex. Traditionelle Techniken, auch wenn vordergründig mühsamer, garantieren letztlich nachhaltige Qualität, ist der Orgelbaumeister überzeugt.

Markus Graser, schon damals sehr begeistert fürs Klavier- und Orgelspiel, fand über eine Zimmermannslehre zum Orgelbau. Sein Handwerk gelernt hat der gebürtige Frankenthaler bei der damals noch bedeutenden Firma Weigle, die 1902 auch die Orgel der Gedächtniskirche geschaffen hatte. Später arbeitet er für Walcker, eröffnete 2004 schließlich seine Werkstatt in Dudenhofen. Am Rande eines Auftrags im Schwäbischen lernte er seine Frau Renate kennen, die mittlerweile auch beruflich unverzichtbare Partnerin ist.

Was beide so fasziniert, ist die grandiose Vielfalt des Berufsbilds: Das braucht Planung und Strategie ebenso wie Fantasie und künstlerisches Gespür und schließlich eine gehörige Portion feinmotorisches und handwerkliches Geschick. Gesucht ist – flapsig ausgedrückt – die eierlegende Wollmilchsau. „Die Vielfalt ist Herausforderung wie Faszinosum“, schwärmen Renate und Markus unisono. „Langweilig wird es niemals. Und nach Abschluss der Arbeit steht da ein Ergebnis, mit Händen zu greifen und mit Ohren zu hören – das ist einfach jedesmal überwältigend.“

Orgelbau ist Weitergabe von Erfahrung und stetiges Dazulernen, ein Leben lang“, sagt Markus Graser und deutet schon mal vorsichtig in Richtung persönlicher Zukunft. „Die Orgelbauszene ist gut vernetzt, man hilft sich gegenseitig, auch bei Engpässen.“ Aber gerne würde er – der mit seinem kleinen Betrieb nicht selbst ausbilden kann – schon mal Tuchfühlung aufnehmen zu einem potenziellen Nachfolger oder auch Nachfolgerin. Um seinen großen Kundenstamm auch später noch gut betreut zu wissen. Gertie Pohlit

 

Zunftschmiede Oscar-Walcker-Schule

Als der Orgelbau im Dezember 2017 immaterielles Kulturgut der Unesco wurde, war der Jubel an der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg groß. Sie ist die bundesweit einzige Berufsschule, die den Zweig „Orgel- und Harmoniumbau“ in ihrem handwerklich-künstlerischen Programm führt. Vehement wirbt sie, seit Kurzem mit leicht steigender Tendenz, für den Nachwuchs; in einem Bereich, der einst hierzulande zu den begehrten Königsdisziplinen zählte.

Der Namenspatron der Schule, Oscar Walcker, repräsentiert eine der über Generationen bedeutendsten Orgelbaufirmen mit Stammsitz im württembergischen Ludwigsburg. 1899, nur kurz nachdem er den elterlichen Betrieb vom Firmengründer Johann Friedrich Walcker übernommen hatte, war bereits das „Opus 850“ vollendet. 16 Jahre später listet die Firmengeschichte 1850 Neuschöpfungen.

Walcker, nicht allein Künstler, sondern auch betriebswirtschaftlich begabt und vom industriellen Fortschritt beseelt, war in seinem Metier bald weltweit unterwegs. Er schuf Werke etwa für St. Michaelis in Hamburg, das Münchner Odeon, den Dom zu Oslo oder die Jahrhunderthalle zu Breslau. Auch die Pfalz beherbergt eine ganze Reihe Arbeiten der Firma Walcker. Zu nennen sind etwa Eisenberg, Erlenbach, Friesenheim, Meckenheim oder Steinweiler. Noch bis zur Jahrhundertwende realisierten die beiden Folgegenerationen der Walckers weltweit mehr als 3000 Orgelneubauten. Um die Jahrtausendwende dann musste Walcker Konkurs anmelden.

Nach Ludwigsburg kommen Auszubildende – vermehrt übrigens Frauen – aus ganz Deutschland, auch Österreich und der Schweiz, wo keine diesbezüglichen Angebote existieren. Immerhin vier neue Meister – bundesweit – haben 2018 die Ludwigsburger Schule verlassen. Mehr könnten es sein, denn die Auftragslage steigt. gpo

 

 

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