Den poppigen Klängen mutig die Kirchentüren öffnen

Neues Pfälzer Projekt will den Gemeindeaufbau durch moderne Kirchenmusik fördern – Auftaktkonzerte in Otterbach und Theisbergstegen

Singen macht ein gutes Gefühl: Kantor Tobias Markutzik bei der Probe des Projektchors in der Christuskirche in Otterbach. Foto: view

Was singen für ihn bedeutet, kann Otto kaum in Worte fassen. „Ich bin nach Proben immer ganz ‘geflasht’“, sprudelt der 68-Jährige bei einer Chorpause in der Christuskirche in Otterbach. „Wenn man singt, hat man einfach ein gutes Gefühl.“ Otto aus Niederkirchen bei Kaiserslautern, der in vier Freizeitchören singt, ist ein Pionier. Gemeinsam mit 60 anderen Sangesschwestern und -brüdern will er ein Türöffner sein für die Popularmusik in den Gottesdiensten der Landeskirche.

Nach nur drei Proben startet an diesem Wochenende ein Projektchor unter der Leitung von Pop-Kantor Tobias Markutzik aus Kusel ein besonderes Projekt für den Gemeindeaufbau. Mit poppigen Songs wollen die Vokalisten im Alter von etwa 40 bis 70 Jahren mehr Schwung in die protestantischen Gottesdienste bringen: am Samsag, 23. März, um 18 Uhr in Otterbach und am Sonntag, 24. März, um 10 Uhr in Theisbergstegen. Auf dem Programm stehen vier Titel aus dem neuen evangelischen Liederheft „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder“ – und ein Liebeslied der US-amerikanischen Sängerin Pink.

Immer leerer sind die Kirchen, immer weniger Menschen fühlen sich auch musikalisch von den Gottesdiensten angesprochen, bemängeln Kantor Markutzik und der Gospel-Pfarrer Stefan Fröhlich. Wenn die Kirche nicht noch mehr Menschen verlieren wolle, müsse sie sich in ihren Gottesdiensten auch für deren „Radiohörgewohnheiten“ öffnen, appelliert Fröhlich: „Wir müssen etwas machen, der Leidensdruck ist immens.“ In seiner Kirchengemeinde in Maxdorf veranstaltet der Pfarrer mit großem Erfolg Gospelgottesdienste, die junge und ältere Menschen anziehen.

Doch die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer setzten auf klassische, oft jahrhundertealte Kirchenlieder, die sich vor allem an ein bildungsbürgerliches Publikum wendeten, ergänzt Markutzik. Modernes christliches Liedgut sei noch oft verpönt. Gemeinsam mit dem Gospel-Pfarrer soll er in einem auf fünf Jahre angelegten Projekt für mehr musikalische Vielfalt in pfälzischen Gottesdiensten sorgen. In einem ersten Schritt gründete Markutzik einen Projektchor in Otterbach im Dekanat an Alsenz und Lauter. Weitere Popchöre sollen in anderen Dekanaten entstehen. Markutzik will zudem Workshops für Organisten anbieten und Bands in Zusammenarbeit mit der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim betreuen. Fröhlichs Part ist es indessen, in der Pfarrerschaft die Werbetrommel für mehr Pop in der Kirche zu rühren. Pfarrer und Kantoren, so sieht es das Gemeindeaufbau-Projekt vor, sollten besser kooperieren, um mehr Gottesdienstbesucher zu gewinnen. Es gebe keine Kirche in der Pfalz, wo Gottesdienste im Popstil geboten würden. „Das geht an den Wünschen der Menschen vorbei“, kritisiert Markutzik.

Gut seien Gottesdienste aber nur, wenn gesprochenes und gesungenes Wort gemeinsam auf die Menschen wirkten, gibt Fröhlich zu bedenken. „Die Pfarrer sollten das neue Gesangbuch mit modernem Liedgut nutzen – auch wenn es nicht ihrem persönlichen Geschmack entspricht“, empfiehlt er. Kirchenmusik im Pop-Gewand wolle die alten Kirchenlieder nicht verdrängen, sondern das Liederangebot ergänzen.

Den Vorwurf mancher Kritiker, Pop in der Kirche sei „zu evangelikal“, kann Fröhlich nicht nachvollziehen. Vielmehr gebe es Berührungsängste, über den christlichen Glauben frei und unverkrampft zu sprechen – und auch zu singen. In der Tat hätten Freikirchen, die gezielt auf Gospel und Pop im Gottesdienst setzen, einen beeindruckenden Erfolg, räumt er ein. Von ihnen könne die pfälzische Kirche lernen, wie man auch jüngere Menschen mit einer zeitgemäßen christlichen Musik erreiche. Zudem sollte die Kirche die rund 45 Gospelchöre in der Pfalz besser einbinden, die oft ohne Verbindung zu Kirchengemeinden seien, sagt der Gospel-Pfarrer. „Wir müssen der Popmusik die Kirchentüren öffnen.“ Alexander Lang

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