Den Menschen sehen und nicht die Hautfarbe

Schwarze Menschen in Deutschland kämpfen gegen Rassismus und fordern ihre Bürgerrechte ein • von Alexander Lang

Tyfanie Nzila-Balley, eine Ludwigshafenerin mit kongolesischen Wurzeln, hat in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Als Botschafterin der Evangelischen Kirche der Pfalz wirbt sie für die pfälzischen Kirchenwahlen – und erhebt ihre Stimme gegen Rassismus. Foto: Kunz

Rund eine Million schwarze Menschen ­leben in Deutschland. Foto: EOTO

Umbenennung von rassistischen und diskriminierenden Straßennamen: Die „Mohrenstraße“ in Berlin soll „Anton-W-Amo-Straße“ ­heißen. Sie erinnert an den ersten schwarzen Philosophen Deutschlands, der Anfang des 18. Jahrhunderts im heutigen Ghana geboren und als Kind verschleppt wurde. Foto: ISD

Alltag ist es für viele schwarze Menschen, dass ihnen die weiße Mehrheit im Land immer wieder mit Misstrauen begegnet. Bei Polizeikontrollen werden sie häufig besonders intensiv kontrolliert. Foto: Kunz

Tyfanie Nzila-Balley ist eine starke Frau, die Rassisten die Stirn bietet. Wie viele andere schwarze Menschen in Deutschland wird auch die Ludwigshafenerin immer wieder angefeindet und muss sich dumme Sprüche wegen ihrer afrikanischen Herkunft und ihrer Hautfarbe anhören. „Angst zu haben, ist nie gut“, sagt die 38-jährige gebürtige Kongolesin, die sich seit sechs Jahren im Presbyterium der protestantischen Kirchengemeinde Ludwigshafen-Pfingstweide engagiert. Man müsse gegen Rassismus seine Stimme erheben, fordert sie.

„Wir sollten nicht die Unterschiede fixieren, sondern nach Gemeinsamkeiten suchen“, schlägt Balley als ein Mittel gegen rassistische Vorurteile und für ein gelingendes Miteinander vor. „Wir müssen einfach den Menschen sehen und nicht seine Hautfarbe.“ Die Mutter eines erwachsenen Sohns lebt seit 1997 in Deutschland und arbeitet als Dispositionsassistentin in einem Mannheimer Personalunternehmen.

Als eine Botschafterin der Evangelischen Kirche der Pfalz wirbt sie für die Teilnahme an den Kirchenwahlen am ersten Advent: In einem Filmspot zeigt sie Gesicht für eine vielfältige Kirche, die „dynamischer, frischer, jünger“ wird, wie sie sagt. Als „Küken“ in der Runde ihres Presbyteriums ist sie unter anderem für die Gottesdienstvorbereitung zuständig. In ihrer Kirchengemeinde fühle sie sich wohl und habe eine Heimat gefunden, erzählt sie. Und doch stoße sie im Alltag immer wieder wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe auf Vorbehalte und Ablehnung, berichtet Balley. Zehn Jahre arbeitete sie als Filialleiterin im Einzelhandel. Dass manche weiße Menschen ihr damals diesen Job nicht zutrauten, „zerrte am Selbstbewusstsein“, erinnert sie sich. Um sich durch Rassismuserfahrungen nicht zu tief verletzen zu lassen, habe sie sich „antrainiert“, auf andere zuzugehen, auch manchen boshaften oder gedankenlosen Spruch mit Humor zu nehmen.

Schwarze Menschen in Deutschland sind im vergangenen Jahrzehnt sichtbarer geworden, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) mit Sitz in Berlin. Sie machten selbstbewusst auf sich aufmerksam, wollten besser wahrgenommen werden und widersetzten sich rassistischen Strukturen, die sie in der Gesellschaft ausgrenzten.

„Deutschland hat ein strukturelles Prob­lem mit Rassismus“, konstatiert Della, der vor 58 Jahren in München geboren wurde. Laut aktueller Erhebung des Statistischen Bundesamts lebten 2018 rund eine Million Menschen in Deutschland, die selbst oder deren Eltern in Afrika geboren wurden. Hinzukommen schwarze Deutsche oder schwarze Menschen aus nicht afrikanischen Ländern, etwa den USA oder Frankreich.

Um mehr über die Lebenssituation schwarzer Menschen herauszufinden, startet der Berliner Verein „Each One Teach One“ (EOTO) gemeinsam mit dem Think Tank „Citizens For Europe“ im April einen ersten „Afrozensus“. Die Ergebnisse der Online-Befragung, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin gefördert wird, sollen Ende des Jahres schwarzen Gemeinschaften und der Politik zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es, Maßnahmen vorzuschlagen, um rassistische Diskriminierung abzubauen sowie schwarze Menschen zu schützen und zu fördern.

Durch den verstärkten Zuzug von Mig­ranten und Flüchtlingen seien die schwarzen „Communities“, vor allem in größeren Städten stark angewachsen, sagt ISD-Sprecher Della. Rassismus gegenüber schwarzen Menschen „poppe“ immer wieder wellenförmig auf – wie nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015, als viele Menschen aus afrikanischen Ländern nach Deutschland flohen.

Auch Deutschland müsse sich seiner kolonialen Vergangenheit und ihren bis heute spürbaren Folgen für die einst unterdrückten Völker in Afrika stellen, appelliert Della. Die Bundesregierung müsse endlich für den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch eine finanzielle Verantwortung übernehmen.

In Berlin beteiligt sich der Interessenverein ISD mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen seit Jahresbeginn an einem Modellprojekt zur „Dekolonialisierung“. Dabei geht es darum, die lokale Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Ein sichtbarer Erfolg ist die Umbenennung von Straßen, die etwa die Namen prominenter Vertreter der deutschen Kolonialtruppen in Afrika trugen.

Auch der 53-jährige Bakkarr Kamara aus Gambia kann davon berichten, dass man es als schwarzer Mensch in der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht immer leicht hat. Rassismus trete meist nicht offen, sondern verdeckt auf, erzählt Kamara, der mit seiner weißen deutschen Frau und zwei Kindern im badischen Weingarten bei Karlsruhe lebt. Schwarzen Diskothekenbesuchern werde unter fadenscheinigen Gründen der Eintritt verwehrt. Passanten machten auf der Straße einen großen Bogen, wenn ihnen ein schwarzer Mensch entgegenkomme. Und die Polizei kontrolliere vor allem schwarze Menschen besonders genau.

Die Gesetze gegen Rassismus müssten verschärft werden, fordert Kamara auch wegen der Schüsse auf das Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle (Saale), der aus dem Senegal stammt. Auch Kamara hat rassistische Beleidigungen und unfreundliche Blicke erlebt, glücklicherweise wurde er nicht körperlich angegriffen. Zwar lege man sich „eine dicke Haut zu“, sagt er. Und doch nagten rassistische Anfeindungen tief im Innern: „Weiße wissen nicht, wie schwer es ist, wenn man als Mensch verletzt wird wegen seiner Hautfarbe.“ Um schwarzen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sei es nötig, deren Befindlichkeiten und Wünsche wahrzunehmen und auch auf rassistische Sprache zu verzichten. „Warum muss man das Schimpfwort ‚Neger‘ verwenden, das Schwarze verletzt?“, sagt Kamara .

Sein 20-jähriger Sohn Noah pflichtet ihm bei: Manche nicht schwarze Menschen verhielten sich taktlos – auch um ein „Machtgefälle“ deutlich zu machen, sagt der Informatikstudent. Er versucht, rassistische Sprüche an sich abperlen zu lassen. Klar nerve es, wenn man zum x-ten Mal „Wo kommst du her?“ gefragt werde. Oft seien weiße Menschen auch unsicher und hätten Angst, sich falsch zu verhalten. Seine Schwester, die 14-jährige Salima, ärgert sich, dass bei einem Klassenbesuch im Altersheim ein Lied mit dem „N-Wort“ gesungen werden sollte. „Das tut doch keinem weh, wenn man Schokokuss sagt“, ergänzt sie.

Die junge Generation gehe unverkrampfter mit der gesellschaftlichen Vielfalt um als die ältere, sagt Noah. Viele Gleichaltrige hätten ausländische Wurzeln, die Herkunft oder gar die Hautfarbe spielten keine Rolle. Öl in das Feuer des Rassismus gieße die AfD, stimmen Noah und sein Vater Bakkarr überein. Die Partei schüre gezielt Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen und Menschen anderer Herkunft, Religion und Hautfarbe.

Rassismus gegen schwarze Menschen trete heute offener zutage als noch vor einigen Jahren, konstatiert Janice Rößler aus dem südpfälzischen Steinfeld. Vor allem in den sozialen Netzwerken werde gehetzt, sagt die 47-Jährige, die sich seit Jahren gegen Rassismus engagiert. Viele Vertreter der bürgerlichen Mitte trauten sich nun, ihrem Hass freien Lauf zu lassen. Ihr Vater ist ein schwarzer US-Amerikaner, die Mutter stammt aus Frankfurt am Main. Bei Rassismus dürfe man nicht wegsehen, sagt Rößler, die in ihrer Region eine Elterngruppe gegen Rechts gründen will. Bei Elternabenden an Schulen oder Ausflügen zu Gedenkstätten sollen junge Leute über das Thema Rassismus informiert werden.

Mit desorientierten und frustrierten „Wutbürgern“ müsse man das Gespräch suchen, um bei ihnen ein Umdenken zu erreichen, sagt die Pfälzerin. Ihr Auto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, anonyme Anrufe gingen bei ihr ein, ihre Kinder wurden rassistisch beschimpft. Meist gingen die staatlichen Behörden Anzeigen wegen Rassismus nicht mit dem nötigen Nachdruck nach, kritisiert sie. Im Kampf gegen Rassismus seien Aufklärung und Bildung das Wichtigste. „Rassismus fängt zu Hause an“, sagt Rößler. Vor allem Eltern prägten ihre Kinder mit rassistischen Vorurteilen und Denkweisen.

Auch Fridah Vogel, die im badischen Bruchsal-Heidelsheim lebt, lässt sich von Rassisten nicht einschüchtern. Wer sie wegen ihrer Herkunft aus Kenia oder ihrer Hautfarbe angehe, der bekomme ein klares „Stopp!“ gesagt. Die 39-jährige Mutter von zwei Kindern, die mit einem weißen Deutschen verheiratet ist, fordert mehr Verständnis für Flüchtlinge und Migranten, die hierzulande Schutz und ein besseres Leben suchen.

Hart habe sie kämpfen müssen, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, sagt Vogel, die in einem Altenpflegeheim arbeitet und gerade eine Ausbildung zur Altenpflegerin abschließt. Geschockt war ihre Familie, als ein alter Mann vor einigen Jahren ihren Sohn mit dem Besen verjagte. „Ich kann so ein Verhalten nicht verstehen, Afrikaner sind gastfreundschaftlich“, sagt sie.

Bei ihrer Arbeit im Pflegeheim komme es immer wieder vor, dass Senioren ihre Haut berührten. „Sie sagen mir, dass sie noch nie mit einem Menschen mit dunkler Hautfarbe gesprochen haben.“ Mit vielen nicht schwarzen Menschen mache sie gute Erfahrungen, sagt Vogel, die ehrenamtlich Patenschaften für Waisenkinder in Kenia vermittelt und Gelder für Hilfsprojekte sammelt. „Es gibt hilfsbereite Leute, die mir vertrauen“, sagt sie.

Tupoka Ogette: Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Unrast-Verlag Münster, 2019. 136 Seiten, 5. korrigierte Auflage, 12,80 Euro. ISBN 978-3-89771-230-0

Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Umfassend aktualisierte Neusfassung. BoD-Books 2018. 344 Seiten, 12,95 Euro. ISBN 978-3-7460-0681-9

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