Das Dornröschen soll geweckt werden

Die Steinmeyer-Orgel in der Johanneskirche Maikammer – Ein „beachtliches Dokument des Kirchenbaus“

Vor dem ersten Benefizkonzert am 2. Dezember: Pfarrer Jochen Keinath (links) und Bezirkskantor Simon Reichert, der dann zeigen will, was in der Orgel steckt. Foto: LM

Diese 100-Jährige könnte tatsächlich geweckt und ihrer ursprünglichen Schönheit zugeführt werden. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat die Orgel der Johanneskirche in Maikammer im Dornröschenschlaf ihrer klanglichen Verfremdung verharrt. Jetzt, da ihre Malaisen eklatant und unüberhörbar werden, sollte das wertvolle Instrument aus der Manufaktur Steinmeyer nicht nur ins Pflegeheim gegeben, sondern quasi aus seinem Jahrzehnte währenden Koma wachgeküsst werden.

Das empfiehlt Gero Kaleschke, Orgelsachverständiger der pfälzischen Landeskirche. Sein 2011 erstelltes und mittlerweile durch aktuelle Zahlen ergänztes Gutachten umfasst 21 eng beschriebene Seiten. Das Gutachten ist für sich genommen ein kleines Kunstwerk an Präzision, akribischer archivarischer Recherche, frappanter Sachkenntnis und glasklarer Reflektion.

Von den drei Möglichkeiten – Sanierung, Teilrestaurierung und Komplettrestaurierung, das hieße Rückführung in den Originalzustand von 1914 – hat Gero Kaleschke die ersten beiden bereits verworfen. Und er nennt gute Gründe: Zum Zustand von 1914 zurückgeführt, bilde sie „mit dem Kirchenraum ein Ensemble von hohem Reiz und ein beachtenswertes Dokument des Kirchenbaus aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts“.

Auch sind nach Kaleschkes Begutachtung große Teile der qualitativ hochwertigen Fertigung der Firma Steinmeyer noch erhalten, müssten lediglich rückgeführt, reaktiviert, nur zu Teilen nach den alten Plänen durch neue Objekte ersetzt werden. Als Glücksfall wertet es Kaleschke, dass die Umbaumaßnahmen 1955 letztlich nicht von der damals vom Orgelsachverständigen Adolf Graf präferierten Firma durchgeführt wurden, sondern von Steinmeyer selbst, „der das sehr pietätvoll und sorgsam erledigt hat“.

Drei Angebote renommierter Orgelbauer hat Kaleschke bereits nach seiner ausführlichen Begutachtung 2013 vorgelegt. Sie bewegen sich – auf jetziges Preisniveau nach Erfahrungsstand hochgerechnet – für die „große“ Lösung, also Komplettsanierung, zwischen rund 115000 Euro (Steinmeyer, Oettingen), 150000 Euro (Firma Lenter, Sachsenheim) und 180000 Euro (Firma Förster und Nikolaus, Lich). Bei einer Beauftragung für 2019.

Auch Bezirkskantor Simon Reichert präferiert vehement eine umfassende Sanierung. „Bloße Kosmetik ist der Beginn einer Dauerschleife von immer wieder anstehenden Ausbesserungen. Eine umfassende Restaurierung aber macht sich auf Dauer bezahlt; dann ist – bis auf Stimmen und Abstauben – einfach mal Ruhe für die nächsten 50 Jahre“, so sein Statement.

Mit vorsichtig zustimmendem Optimismus nähert sich der Maikammerer Pfarrer Jochen Keinath dem Projekt Orgelsanierung. Letztlich, das sieht er ähnlich wie Reichert, werde die Entscheidung von der Empfehlung des Orgelfachmanns in Speyer abhängen. Aber – zumal im Blick auf die zu stemmende finanzielle Last – möchte er die Mitglieder des Presbyteriums als überzeugte Mitstreiter im Boot haben.

Schon im Vorfeld hatte der Fundraising-Experte der pfälzischen Landeskirche, Andreas Rummel, als Gast des Presbyteriums Anregungen gegeben und das Sanierungsbeispiel der kleinen Kirchengemeinde Mimbach vorgestellt. Auch sollen kurzfristig Kaleschke und Reichert ins Presbyterium eingeladen werden und vortragen. Simon Reichert spielt zudem am Sonntag, 2. Dezember 2018, 17 Uhr, ein erstes Benefizkonzert. Und will nicht die Agonie der Orgel vorführen, sondern zeigen, was in ihr steckt. Er spielt unter anderem Werke von Max Reger und die fünfte Sinfonie von Charles-Marie Widor mit der berühmten Toccata. Gertie Pohlit

Fundraising

Der Orgelsachverständige Gero Kaleschke hat die Bezuschussung durch öffentliche Geldgeber bereits im Blick. Mit bis zu 20 Prozent der Gesamtsumme darf die Kirchengemeinde seitens der Landeskirche rechnen. Auf Dreingaben darf man auch seitens der Stiftung Orgelklang hoffen. Die Stiftung Denkmalschutz wäre, speziell im Blick auf Geschlossenheit des kirchlichen Ensembles, gewiss gleichfalls mit ins Boot zu holen. Und seit Orgelbau und Orgelkunst Teil des immateriellen Unesco-Welterbes sind, könnten auch Mainz und Brüssel angesprochen werden. Ein solches Projekt ist aber immer auch eine Ideenbörse, um Gemeindemitglieder einzubinden. gpo

Erhebliche Eingriffe in Technik und Klangbild

Nach zwei Weltkriegen kam die sogenannte „Orgelbewegung“ – Wertvolle Substanz von einst liegt brach

Könnte sie sprechen, hätte sie manches zu erzählen. Schon ihre „Erschaffung“ – eingebunden in den Kirchenneubau der eben selbstständig gewordenen protestantischen Gemeinde Maikammer – war überschattet vom Dissens zwischen Orgelbauer und Architekt. Wobei Letzterer obsiegte. Geweiht wurden Kirche und das zweimanualige, mit 14 Registern ausgestattete Instrument im Frühjahr des Kriegsjahrs 2014. Knapp 6000 Mark stellte die ausführende Firma Steinmeyer aus Oettingen damals in Rechnung. Der Wartungsvertrag war für 25 Mark jährlich zu haben.

1917 – der Erste Weltkrieg befand sich in den Schützengräben – wurden die Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken beschlagnahmt. Dann, da aus Zink gefertigt, „von der Ablieferung befreit“. Eine erste Instandsetzung der Orgel war 1940 notwendig und kostete rund 65 Reichsmark. Den Zweiten Weltkrieg überlebte das Instrument noch unbeschadet. Verhängnisvoll indes waren die Maßnahmen, die der damalige Orgelsachverständige und erste Landeskirchenmusikdirektor Adolf Graf in den 1950er Jahren dem landeskirchlichen Orgelbestand verordnete. Es war die sogenannte „Orgelbewegung“, die dafür Pate stand. Und die Instrumente der roman­tischen und spätromantischen Epoche traf es besonders hart.

Aus dem Kleinod in Maikammer sollte ein Instrument mit barockem Erscheinungsbild werden. Wer Graf kannte, weiß, dass seine musikalischen Götter Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach waren, mit einer gewissen Ausschließlichkeit. Die Eingriffe in Disposition und technische Abläufe, damit ins Klangbild, waren erheblich und aus heutiger Sicht höchst unbefriedigend. Auch die Hitzejahre 1946 und 1976 setzten dem Instrument zu, führten jeweils zum massiven Kollaps. Seit rund zehn Jahren häufen sich die Mängel. Es müsste gereinigt werden, es klappert allerorten, Risse und Schwund, erhebliche Windgeräusche wurden diagnostiziert. Vor allem aber: So viel der wertvollen Substanz von einst liegt brach. Ein mittlerer vierstelliger Betrag ist bereits angespart, verrät Pfarrer Jochen Keinath, und der Orgelwein mit prägnantem Etikett beauftragt. gpo

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