Beweglichkeit in viele Richtungen

Das Diakoniezentrum Pirmasens ist in den vergangenen acht Jahren in der Region deutlich gewachsen

Wohnen in Gemeinschaft: Das Projekt PS Patio im Winzler Viertel hat einen ganzen Straßenzug verändert. Foto: Seebald

Die Bagger haben noch zu tun. Das Außengelände zweier neuer Häuser für Jugendliche an der Pirmasenser Waisenhausstraße soll fertig werden. Die Gebäude der Jugendhilfe des Diakoniezentrums Pirmasens stehen schon. Und nicht nur diese. Ein Altenpflegeheim, barrierefreie Wohnungen, ein Hospiz, Parkanlagen, Plätze. Wer die Straßenzüge rund um das ­Diakoniezentrum an der Ecke Waisenhaus- und Winzler Straße sieht, erkennt, dass kleinteilige Ansätze nicht das Konzept des Diakoniezentrums sind, das aus dem 1853 gegründeten „Protestantisch-evangelisch-christlichen Unterstützungsverein“ erwuchs. Und zuletzt deutlich expandierte.

„Wir hatten in den vergangenen acht Jahren massives Wachstum, haben die Mitarbeiterzahl von 300 auf 600 verdoppelt“, erzählt Carsten Steuer, kaufmännischer Vorstand beim Gespräch in Pirmasens. Überhaupt habe der gesamte Prozess erst in den letzten 20 Jahren „so richtig Fahrt aufgenommen“. Entscheidend sei die Erkenntnis gewesen, dass ein bloßes Bewahren des Bestands nicht zukunftsfähig sein würde, um am Markt zu bestehen. 1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt, zahlreiche private Anbieter drängten auf den Markt. „Wir mussten uns breiter aufstellen. Und anders herangehen.“

Ein Pflegeheim gab es mit dem 1934 eröffneten Haus Bethanien schon. Pflegedienste für Menschen, die zu Hause alt werden möchten, mittlerweile auch. Im Bereich der Ambulantisierung waren die Jugendhilfestationen des Diakoniezentrums seit dem Jahr 2000 Vorreiter. Was fehlte, war eine vernetzte, durchlässige Struktur, nicht anonymes Wohnen mit niederschwelliger Versorgung, gegenseitige Hilfe, Nachbarschaft, im Zentrum ein Wohncafé: das, was 2013 im Projekt PS Patio mündete.

Dazu gehörte Mut. „Am Menschen orientiert zu sein“, sind sich Steuer und Kollege Norbert Becker, theologischer Vorstand, einig, sei zwar ein zukunftsorientiertes Modell. „Aber als Geschäftsmodell nicht ganz so gut.“ Private Anbieter hielten sich hier deshalb gerne zurück. Schließlich beobachteten die Behörden diese Modelle mit Argwohn. „Die Kassen haben Angst, dass Missbrauch betrieben wird mit Geldern der Leistungsempfänger“, sagt Steuer. Dann bleibe die Tür zwischen stationärem Heim und den Wohnungen eine Wand weiter versperrt, damit Mitarbeiter nicht ambulant Bewohner mitbetreuen, obwohl es vielleicht so günstiger wäre.

Die Politik hinke hinterher. Dabei helfe mehr Beweglichkeit in punkto ambulanter Hilfe stationäre Unterbringung zu sparen. Durchlässigkeit im Pflegesystem analog zur Durchlässigkeit im passgenauen Wohnen, dafür plädieren Steuer und Becker. Im Grunde gehe es um nicht mehr als einen Paradigmenwechsel, sagt Steuer: „Nicht, wo passt der Mensch rein? Sondern: Was braucht er?“

Um das zu realisieren, versucht das Diakoniezentrum als regionaler Partner Netzwerke zu knüpfen. Die nötige Beweglichkeit beim Thema ambulante Versorgung holte sich das Diakoniezentrum durch den Einstieg bei der Ökumenischen Sozialstation, die zur GmbH wurde. Seit 2016 ist der Träger mit 60 Prozent daran beteiligt. Beim Projekt PS Patio beispielsweise wiederum teilen sich Stadt, Diakoniezentrum und Städtische Baugesellschaft je ein Drittel der Kosten des Quartiersmanagers.

Mitgenommen werden sollen auch die Bewohner, die sich nicht erst beim Einzugstermin in die Augen schauen sollen. Beim geplanten Wohnviertel in Contwig sollen Ideen auf Bürgerwerkstätten in die Realisierung fließen. Der Gedanke des Miteinander-Wohnens funktioniere anders nicht. „Die Frage ist nicht, wo ich eine Leistung herkriege, sondern wie gegenseitige Hilfe möglich ist“, sagt Becker. Viele wollten einziehen und sich zurücklehnen. Dabei gehe es doch darum, auf die berühmten Bibelworte Kains mit Ja zu antworten, des eigenen Bruders Hüter zu sein. „Leben teilen“ ist so denn auch der Leitspruch des Diakoniezentrums.

Er passt zum christlichen Selbstverständnis des Diakoniezentrums. Dieses diakonische Profil müsse aber immer wieder gestärkt werden, „wir werden oft nur als Bauträger wahrgenommen“. Im Internet heißt es zu diesem Selbstbild: „Glauben leben, ohne ihn demonstrativ in den Mittelpunkt (zu) stellen“. Wie das aussieht? „Wir zwingen niemanden in den Gottesdienst“, sagt Pfarrer Becker und schmunzelt. „Aber wir legen Rechenschaft ab über unseren Grund zur Hoffnung, wenn uns jemand fragt, warum wir das alles machen.“ Mission sei nicht gewünscht. „Wir sind beim Thema Religionsfreiheit sehr vorsichtig geworden“, sagt Becker, ordnet aber sogleich ein: Kulturell offen zu sein, bedeute keine Selbstbeschneidung, was christliches Selbstverständnis betrifft. Und so haben alle Altenheime des Trägers eine Kapelle. Auch Pfarrer aus den Kirchengemeinden, so beispielsweise in Contwig, kommen dorthin. Und gerne Menschen, die keine Angehörigen haben, sagt Becker.

Diakonischer Träger sein, das bedeutet in zwei Richtungen zu denken. Auf der einen Seite die finanzielle Seite von Jugendhilfe, Altenhilfe, Hospizarbeit und Wohnungen. Auf der anderen Seite, dies mit Leben und Seele, christlich verwurzelt, zu füllen. Eine Aufgabe, die auch der Nachfolger von Norbert Becker beherzigen wird müssen. Er wird im Herbst in den Ruhestand gehen.

Nächstenliebe bedeutet aber nicht die Augen zu verschließen vor der Realität. Als die Pläne des Diakoniezentrums für Contwig bekannt wurden, monierten einige das Konzept, das sie gern in Großsteinhausen verwirklicht gesehen hätten. Ein Lob für die Idee. Aber in solch einem kleinen Ort nicht zu refinanzieren, sagt Steuer. Ihm machen nicht die Anfangsinvestitionen, sondern die Personalkosten Sorgen. Projekte wie in Pirmasens seien in kleinen Orten auf diesem Niveau nicht zu entwickeln. „Wir können keine Luftschlösser bauen, müssen da eiskalt rational rangehen.“ Und so ist klar, dass das Diakoniezentrum „nicht auf Teufel komm raus alle paar Jahre neue Häuser baut“. Stattdessen sollen die Standorte Pirmasens, Zweibrücken, Contwig und Thaleischweiler-Fröschen ausgebaut werden. Klar ist, die Bagger haben auch die kommenden Jahre gut zu tun. Florian Riesterer

Baumaßnahmen und Pläne

In der ehemaligen Canada-Siedlung in Zweibrücken will das Diakoniezentrum nach dem Quartiersansatz bauen. Im Mittelpunkt steht die Altenpflegeeinrichtung Haus Kana mit rund 80 Plätzen. Daneben entstehen 20 Wohneinheiten mit ambulanter Versorgung und 22 zusätzliche Wohnungen. „Wir haben eine Option auf eine weitere Fläche“, sagt Steuer. Dort könnten 40 bis 50 Wohneinheiten entstehen. 18 Millionen Euro werden investiert, 2020 soll alles fertig sein.

In Pirmasens wird zwischen der Zentrale des Diakoniezentrums und der Jugendhilfe ein weiterer Hospizbau als Erweiterung zum seit 2009 bestehenden Hospiz Magdalena entstehen. Somit kann die Zahl der Bewohner von sechs auf zwölf verdoppelt werden. Die Baukosten liegen bei rund 2,9 Millionen Euro, ein Drittel muss über Spenden finanziert werden. Der für einen Baustart nötige Betrag von 700000 Euro ist fast eingeworben.

In Contwig, wo das Diakoniezentrum das Altenheim Haus Sarepta betreibt, ist im Baugebiet „Am Schachen“ ein weiteres Viertel nach dem Quartiersansatz auf rund 10000 Quadratmetern Fläche geplant. Mehrere Bürgerwerkstätten finden statt, im Herbst sollen die Maßnahmen konkretisiert werden. „Nächstes Jahr können wir mit dem Bau beginnen“, sagt Steuer. flor

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