Bedford-Strohm: Weiter gesellschaftlich relevant

Neue Studie prognostiziert Halbierung der Zahl der Kirchenmitglieder bis 2060 – Kirchen können den Mitgliederschwund noch abfedern

Besucher sitzen in der evangelischen Heiliggeistkirche in Heidelberg. Foto: epd

Leere Kirche: Ein Gottesdienst in der evangelischen Dorfkirche im brandenburgischen Jabel mit drei älteren Frauen könnte künftig vielerorts Realität werden. Foto: epd

Die Bindungskraft der Kirchen schwindet: Laut Berechnung von Wissenschaftlern sinkt die Zahl der Gemeindemitglieder in den nächsten 40 Jahren stetig. Grafik: epd

Weniger Kirchenmitglieder, das bedeutet nicht automatisch weniger gesellschaftliche Relevanz – das sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, angesichts der frappierenden Zahlen, nach denen die Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnten. „Die christlichen Kirchen bleiben weiterhin die größte nicht staatliche Organisation in Deutschland“, sagte Bedford-Strohm auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Und ich bin sehr sicher, dass die Kirche gerade in Zeiten, in denen Orientierung mehr denn je gefragt ist, Gehör finden wird.“

Weniger Mitglieder bedeuten auch weniger Kirchensteuern, und vor allem finanziell wird sich der Mitgliederschwund drastisch auswirken. Im Jahr 2017 erhielten die Kirchen rund zwölf Milliarden Euro Kirchensteuer. Zwar soll das Kirchensteueraufkommen 2060 weiterhin bei rund zwölf Milliarden Euro liegen, doch kaufkraftbereinigt könnten sich die Kirchen davon dann nur die Hälfte des Bisherigen leisten.

Das Forschungszentrum Generationenverträge der Freiburger Universität hat für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Prognose dazu erstellt, wie sich die Zahl der Mitglieder und die Höhe des Kirchensteueraufkommens in den kommenden 40 Jahren verändern werden. Während im Jahr 2017 noch mehr als jeder Zweite einer der beiden großen christlichen Kirchen angehörte, wird es im Jahr 2060 voraussichtlich nur höchstens jeder Dritte sein, legt man die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts zugrunde. Die Zahl der Mitglieder könnte von 44,8 Millionen im Jahr 2017 auf 22,7 Millionen Menschen im Jahr 2060 sinken. Die Prognose basiert auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen.

Für die Finanzgremien beider Kirchen ist die Studie ein Weckruf. „Ansporn statt Entsetzen“ – so fasste der Finanzchef des katholischen Erzbistums Berlin, Bernd Jünemann, seine Reaktion auf die Ergebnisse der Studie zusammen. Die zentrale Botschaft sei, dass beide Kirchen die Entwicklung noch beeinflussen könnten. EKD-Ratsmitglied und Finanzexperte Andreas Barner sagte: „Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen jetzt handeln.“

Die Forscher liefern den Kirchen Anregungen zum Handeln: Der Mitgliederverlust lasse sich nicht allein auf den zweifellos unumkehrbaren demografischen Wandel zurückführen. Es fehle der Kirche an gläubigem Nachwuchs, weil mehr Menschen aus der Kirche austreten und zugleich immer weniger Kinder getauft werden. Der Leiter der Studie, Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, spricht von einer schwindenden Bindungskraft der Institution Kirche. Er rät den Kirchen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie das Tauf- und Austrittsverhalten der Gläubigen beeinflussen können. Für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist die Studie daher auch ein „Aufruf zur Mission“.

Viele der 20 Landeskirchen der EKD haben nach Auskunft des Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm bereits mit einem Reformprozess begonnen. Die rheinische Landeskirche etwa investiert zwölf Millionen Euro in ein Förderprogramm für innovative Initiativen in den 687 rheinischen Gemeinden. Diese Reformprozesse müssten in den kommenden Jahren stärker vernetzt werden. „Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon.“ Die westfälische Präses Annette Kurschus erklärte, die Ergebnisse zeigten, wie wichtig es sei, den Weg des Wandels aktiv gestaltend weiterzugehen. Franziska Hein

Maßnahmenbündel gegen Mitgliederschwund

Landeskirche will verstärkt auf Menschen zugehen – Taufquote erhalten – Mehr Angebote für Familien

Auf sinkende Mitgliederzahlen und weniger Kirchensteuereinnahmen will die Landeskirche in den kommenden Jahren mit einem Maßnahmenbündel reagieren. Die wissenschaftliche Prognose, dass sich bis 2060 die Zahl der Kirchenmitglieder auch in der Pfalz halbieren könnte, sei kein Grund zur Resignation, sondern vielmehr „ein Signal zum Aufbruch“, sagte Kirchenpräsident Christian Schad in Speyer. Die Kirche müsse ihre Gestaltungsaufgaben für die Gesellschaft annehmen und verstärkt auf die Menschen zugehen.

Die Ergebnisse der von Finanzwissenschaftlern der Universität Freiburg erstellten Langzeitprojektion zur Entwicklung der Kirchenmitgliederzahlen basieren auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen. Demnach wird die Mitgliederzahl der Landeskirche von heute 515000 auf 416000 im Jahr 2035 sowie auf 290000 im Jahr 2060 sinken. Aufgrund schwindender Kaufkraft werden der Landeskirche zudem bis 2035 etwa 20 Prozent ihrer Kirchensteuereinnahmen fehlen, ergänzte Finanzdezernentin Karin Kessel.

Die Zahlen lassen sich Schad zufolge trotz knapper werdender personeller und finanzieller Ressourcen beeinflussen: Die Kirche müsse versuchen, die hohe Zahl der Taufen zu halten. Auch müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um Austritte zu vermeiden und für Eintritte zu werben. Die Taufquote sei in der Pfalz und Saarpfalz mit 89 Prozent der Geburten von evangelischen Müttern im bundesweiten Vergleich sehr hoch. 4441 Menschen waren 2017 aus der Landeskirche ausgetreten, hingegen gab es 571 Eintritte.

Als Beispiele für eine bessere Hinwendung zu den Menschen nannte Schad mehr Angebote für junge Familien und Kontakt zu jungen Erwachsenen, auch durch digitale Medien. Außerdem müssten sich distanzierte Kirchenmitglieder besser einbringen können. Vor allem seien aber Christen aufgerufen, öffentlich über ihren Glauben zu sprechen und für ihn zu werben. Auch müssten die christlichen Konfessionen in der Region in allen Arbeitsbereichen eine ökumenische Zusammenarbeit prüfen. epd

Entwicklung der Mitgliederzahlen und Finanzen

Die Zahl der Kirchenmitglieder ist in den vergangenen zehn Jahren stetig gesunken, trotzdem sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer gestiegen. Dieser Trend könnte noch kurze Zeit anhalten, prognostizieren Freiburger Forscher. Demnach würde die Kirche in den kommenden zwei Jahrzehnten noch über „beträchtliche Ressourcen“ verfügen und in dieser Zeit finanzielle Rücklagen bilden können für die Zeit, wenn die Mitgliederzahlen und die Einnahmen deutlich sinken.

Der Mitgliederschwund ist schon heute Realität. 2007 gab es insgesamt 50,3 Millionen Christinnen und Christen, die Mitglied in einer evangelischen oder in der römisch-katholischen Kirche waren. Das waren damals 61,2 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung. 2017 sah das schon anders aus: Zwar gehört immer noch eine knappe Mehrheit der Deutschen der evangelischen oder katholischen Kirche an, doch sank der Anteil auf 54,2 Prozent. 44,8 Millionen Menschen waren Mitglied einer der beiden Kirchen.

Gleichzeitig hat diese Entwicklung sich bislang nicht finanziell ausgewirkt. Im Vergleich zu 2007 ist das Kirchensteueraufkommen sogar gestiegen. 2007 erhielt die EKD Kirchensteuern in Höhe von etwa 4,2 Milliarden Euro, 2017 etwa 5,6 Milliarden Euro. Die Deutsche Bischofskonferenz, der Zusammenschluss aus 27 katholischen Bistümern in Deutschland, erhielt 2007 rund 4,7 Milliarden Euro Kirchensteuer, 2017 waren es 6,4 Milliarden Euro. Seit 2010 sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer bei beiden Kirchen kontinuierlich gestiegen.

Der Grund dafür liegt laut den Forschern zum einen in der guten Wirtschaftskonjunktur. Zum anderen befinde sich die Generation der „Babyboomer“ derzeit lebensbiografisch in der Phase der höchsten Steuerzahlungen. Absehbar ist jedoch laut den Wissenschaftlern, dass diese Gruppe ab 2035 verrentet sein wird und der finanzielle Ausfall nicht ausreichend durch die nachfolgenden Generationen ausgeglichen wird. epd

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